Grabfund in Vilnius :
Dieser Schatz wäre fast unentdeckt geblieben

Von Stefan Locke, Warschau
Lesezeit: 3 Min.
Grabbeigabe: Die Krone von Alexander Jagiellon, Anfang des 16. Jahrhunderts König von Polen, war jahrzehntelang verschollen.
Eigentlich war die Treppennische einer Krypta in Vilnius schon mal untersucht worden. Doch nun bohrten Forscher abermals nach – und fanden seit fast 90 Jahren verschollene Insignien aus dem 15. und 16. Jahrhundert.
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Gute Verstecke haben die Eigenschaft, ihre Schätze mitunter für immer zu verbergen. Beinahe wäre es so auch in Litauen gekommen, doch dann schauten Forscher in der Krypta der ­Kathedrale der Hauptstadt Vilnius noch einmal genau nach. Und siehe da: Sie entdeckten einen der bedeutendsten Kirchenschätze, der seit fast 90 Jahren als verschwunden galt.

Und das nur, weil sie in einer Treppen­nische des Heiligtums, die schon 1985 untersucht worden war, mit endoskopischen Kameras noch einmal nachbohrten. Zum Vorschein ­kamen eine Grabkrone und Insignien bedeutender litauisch-polnischer Herrscher aus dem 15. und 16. Jahrhundert – und damit einer Zeit, in der beide Länder im Verbund den größten Flächenstaat Europas bildeten. Er erstreckte sich größtenteils über das heutige Polen, fast die gesamte Ukraine, Belarus sowie nahezu das komplette Baltikum.

Grabkrone eines früheren polnischen König gefunden

Gefunden wurde unter anderem die Grabkrone von Alexander Jagiellon, ­damals König von Polen, Großfürst von Litauen und der einzige polnische ­Regent, der in Vilnius und nicht auf dem Wawel in Krakau bestattet wurde; außerdem eine Krone und eine Kette ­sowie ein Ring und ein Medaillon der Habsburgerin Elisabeth von Österreich, der ersten Ehefrau des polnisch-litauischen Regenten Sigismund II. August; und schließlich Krone, Zepter, Reichsapfel, drei Ringe, eine Kette und Sarg­tafeln von Barbara Radziwiłł, der zweiten Gemahlin Sigismund II. Augusts, die ebenfalls polnische Königin und litauische Großfürstin war.

Zufallsfund: Der Schatz war unter einer Treppe  in der Kirche eingemauert
Zufallsfund: Der Schatz war unter einer Treppe in der Kirche eingemauertAistė Karpytė/Erzdiözese Vilnius

„Alle drei waren bedeutende Per­sönlichkeiten der litauisch-polnischen Geschichte“, sagt Mykolas Sotničenka, Sprecher der Erzdiözese Vilnius. Sie hätten nicht nur dafür gesorgt, dass die heutige Hauptstadt Litauens zu einem politischen und kulturellen Zentrum wurde. „Durch kluge Heiratspolitik hat Alexander auch nach friedlichen Lösungen für internationale Krisen in der Region gesucht, und er festigte damit sein Vermächtnis als Herrscher, der sich für Fortschritt und Stabilität einsetzte.“

Jagiellonen und Habsburger zählten damals zu den mächtigsten Herrscher­familien Europas, die, wie seinerzeit ­üblich, ihre Macht durch verwandtschaft­liche Beziehungen zu vergrößern oder stabilisieren suchten. Die jetzt wiederentdeckten Insignien galten schon einmal als verschwunden, bis sie 1931 durch eine Überschwemmung, die auch die Kathe­drale von Vilnius beschädigte, samt einem ­Mausoleum freigelegt wurden.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden sie versteckt

Danach seien sie in der Sakristei ­öffentlich präsentiert worden, sagt ­Sotničenka. Doch mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 habe das Domkapitel beschlossen, die wertvollsten Schätze zu verstecken. Ein Großteil davon wurde erst im Jahr 1985 bei einer ersten Suche wiedergefunden, doch fehlten die jetzt wiederentdeckten Stücke. Annahmen zufolge lagen sie in noch tieferen, unter­irdischen Kammern, doch weitere Suchen blieben zunächst ergebnislos.

Nach einem Tipp und abermaliger intensiver Suche kamen die Stücke in einer zugemauerten Treppennische im für Führungen zugänglichen Bereich wieder ans Licht. Sie waren in Zeitungen von September 1939 eingewickelt. Den Kronen sind die 600 Jahre anzusehen, das Gold ist an mehreren Stellen abgeschabt, Rost hat sich eingefressen, und an mancher Zacke klebt noch Zeitungspapier. Die Relikte würden nun restauriert und anschließend öffentlich ausgestellt, teilen die Diözese und das Vilnius Church Heritage Museum mit, das die Stücke bewahren wird.

„Symbole der ­litauischen Staatlichkeit“

Alle entdeckten Teile sind zu Leb­zeiten nie getragen worden, sondern Grabbei­gaben, die bei der Wiederent­deckung in den Dreißigerjahren auch dabei halfen, die in der Krypta bestatteten Herrscher zu identifizieren. Gerade Barbara Radziwiłł, die einem litauischen Adelsgeschlecht entstammt, ist in Litauen bis heute eine Legende. Der Über­lieferung nach war sie eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Zwar stieß ihre heimliche Heirat mit dem polnischen König besonders in Polen auf erheb­lichen Widerstand, doch der Monarch setzte sich durch – und seine Frau ihr Volk durch ihre Anmut matt.

Bis heute inspiriert sie Dichter und Maler und auch den Erzbischof von ­Vilnius, Gintaras Grušas, freilich nur im übertragenen Sinne. Die entdeckten Grabinsignien seien unschätzbare historische Schätze, schwärmte er. „Sie sind Symbole der ­litauischen Staatlichkeit, Zeichen von Vilnius als Hauptstadt und großartige Goldschmiedearbeiten und Schmuckstücke.“

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