Sensationsfund Luxustherme : Das Pompeji der Schönen und Reichen
Die Suche nach Antworten ist in Pompeji immer wie ein Puzzle. Man muss verschiedene Teile zusammensetzen. Die römische Gesellschaft tickte ganz anders als die unsrige. Wer heutzutage gut betucht ist, hat unter Umständen auch einen Swimmingpool mit Sauna hinter dem Haus. Aber man kann das nicht eins zu eins übertragen. Für die Römer, die zur guten Gesellschaft gehörten, war es unschicklich, sich in einer Kneipe oder einem Restaurant zu treffen. Aus Sicht der Elite waren sie nur etwas für das einfache Volk. Man trank dort Wein, und es wurde gewürfelt, die Kellnerinnen waren oft auch Sexarbeiterinnen oder Sklavinnen. Manche Senatoren und angeblich auch Mitglieder der kaiserlichen Familie sollen fasziniert von dieser Halbwelt gewesen sein, und in Rom machten sie inkognito Ausflüge dorthin. Aber man durfte sich auf keinen Fall erwischen lassen, es war sozial höchst problematisch.
Was heute in Restaurants stattfindet, fand großteils zu Hause statt. Man lud die reichen Freunde zu sich ein oder wurde von anderen eingeladen. Ihre Häuser hatten große Küchen, in denen Sklavinnen und Sklaven arbeiteten. Zu den Banketten wurden aber auch Leute mit einem geringeren sozialen und ökonomischen Status eingeladen. Es ging jedoch nicht um die Form von Freundschaft, wie man sie heutzutage versteht. Die römische Vorstellung von Freundschaft, der amicitia, meinte eher Zweckbündnisse. Vielleicht brauchte man einen Kredit oder hatte Schwierigkeiten mit der Obrigkeit. Oder man brauchte Unterstützung, weil man sich zu einer Wahl aufstellen lassen wollte. In Pompeji und den meisten anderen römischen Städten wurde jedes Jahr gewählt. Über all das wurde im Haus verhandelt, bei gemeinsamen Treffen und Banketten. Heute würde man es als Form von Korruption ansehen, wenn ein Politiker zu sich nach Hause zu einer Party einladen und am Ende den Gästen sagen würde: Ich hoffe, dass ihr mich jetzt alle wählt. In der römischen Gesellschaft war es dagegen normal und anerkannt, sich das Wohlwollen anderer zu sichern, womit es manche aber auch übertrieben.
Sie sind der Ort, an dem die Menschen lebten, waren aber nicht in dem Sinn privat, dass nur die Familie und die engsten Freunde dorthin kamen. Das Haus eines reichen römischen Menschen hatte immer auch eine repräsentative Funktion. Seine Architektur dient diesem Zweck, angefangen bei den Sichtachsen, die so ausgerichtet sind, dass man schon von der Straße aus einen Blick hineinwerfen kann, oder dem Atrium, der Empfangshalle. Was an dem jetzt ausgegrabenen Haus auffällt, ist, wie durchdacht die Anlage ist. Man kennt andere Häuser die große Bankettsäle und Thermenanlagen haben. Aber bei diesem Haus liegen sie direkt nebeneinander. Es wirkt, als habe man sich innerhalb eines Privathauses bewusst Strukturen geschaffen, um eine große Anzahl von Menschen verwöhnen zu können. Die Gäste konnten erst ein Bad nehmen und sich danach direkt zum Bankett in den Saal begeben. Oder, was eine Mode der damaligen Zeit war: Man stieg während des Essens immer mal wieder ins Wasser. In dem lateinischen Roman „Satyricon“, der im späten ersten Jahrhundert nach Christus verfasst wurde und den Fellini 1969 verfilmte, gibt der reiche Freigelassene Trimalchio ein aufwendiges Abendessen. Irgendwann sagt er: Lasst uns doch alle kurz ein Bad nehmen. Es ist auch bekannt, dass bei Kaiser Nero bis spät nachts gefeiert, getrunken und gegessen wurde. Im Winter wärmte er sich mit heißen Bädern auf und im Sommer mit kalten, sie wurden mit Schnee gekühlt, der aus den Bergen herangeschafft wurde. Die freigelegte Thermalanlage hatte also sicherlich etwas von einem Spa, aber man ging dort unter anderen Vorzeichen hin. Es ging bei dem Besuch nicht nur darum, es sich mal gut gehen zu lassen.
Ganz genau. Und die Dynamik in Pompeji war sicherlich eine ganz ähnliche wie heute bei solchen Anlässen. Man kommt dahin, einige kennen den Gastgeber schon länger, sie bewegen sich deshalb schon ganz locker und frei, man wird einander vorgestellt, muss erst warm werden mit der Situation. Oder es heißt, bring doch beim nächsten Mal auch diesen Bekannten von dir mit. So erweitert sich das Netzwerk, und es entstehen neue Möglichkeiten, um sich politisch oder geschäftlich einen Vorteil zu verschaffen.
Nackt gesehen zu werden, auch von Angehörigen des gleichen Geschlechts, galt in der frühen römischen Gesellschaft als Schande. Aber das änderte sich. Es gab ab einem gewissen Zeitpunkt öffentliche Thermalbäder, in denen nackt gebadet wurde, normalerweise Männer und Frauen getrennt. In Pompeji gibt es zwei solcher Badekomplexe. In einem gibt es eine Art Nebeneingang, und darüber steht das lateinische Wort „mulier“, also „Frau“. Es konnte auch sein, dass für Männer bestimmte Tageszeiten vorgesehen waren und für Frauen andere. So wie es heute auch in manchen Saunen der Fall ist. Aber offenbar wurde diese Grenze nicht immer eingehalten. Denn man weiß, dass es diesbezüglich eine gewisse Besorgtheit gab, und so etwas wird nie grundlos formuliert. Wahrscheinlich wurde die Regel im privaten oder halb privaten Bereich eher locker ausgelegt, je nachdem, wer zu Gast war. Das war auch eine Möglichkeit: Ich habe diesen großen Pool und einen riesigen Festsaal und lade trotzdem nur einen Geschäftspartner oder eine kleine Gruppe von Gästen ein. So was macht Eindruck. Manche gesellschaftlichen Grenzen wurden auch bewusst überschritten. Auch das ist ein Statement.
Es gibt in Pompeji sehr, sehr wenige Häuser, die eine private Thermenanlage haben. Selbst das Haus der Vettier, das eines der prächtigsten der Stadt war, hat keine. Das war etwas für die Superreichen. Denn abgesehen von den Baukosten hatte so eine Anlage enorme Betriebskosten. Im Winter brauchte man Unmengen von Holz, um sie zu beheizen. Man brauchte Sklaven, die sich darum kümmerten, sie musste sauber gehalten werden.
Wir haben keine eindeutigen Hinweise. Nördlich der Wohnanalage sind zwei kleinere Häuser. In einem befindet sich eine Bäckerei, in der Wahlaufrufe an die Wand gepinselt worden waren. Das ist ungewöhnlich, normalerweise befinden sie sich an den Fassaden und nicht im Innern. Die Wahlaufrufe laden dazu ein, einen gewissen Aulus Rustius Verus als Ädil zu wählen. Das war in der römischen Republik ein Beamter, der die Aufsicht über Bauprojekte und Straßen, Handel und die öffentliche Ordnung hat. Gleichzeitig finden sich die Initialen dieses Mannes, der auch aus anderen Inschriften in Pompeji bekannt ist, auf den Mühlsteinen in der Bäckerei.
Ja, unter sehr unmenschlichen Bedingungen. Es waren Sklaven, die dort eingesperrt waren und diese Arbeit zusammen mit Eseln verrichten mussten. Sie drehten diese Mühlsteine Tag und Nacht. Wahrscheinlich finanzierte Aulus Rustius Verus die Bäckerei. Aber er wohnte sicherlich nicht in demselben Haus. In dieser Gesellschaft war es undenkbar, dass jemand, der sich für ein hohes Amt bewirbt, in einem Haus wohnt, in dem sich eine Bäckerei befindet. Vermutlich diente die Bäckerei Aulus Rustius Verus zum Erreichen seiner politischen Ziele und wurde von jemandem betrieben, der von ihm abhängig war. Möglicherweise verschenkte er, um Stimmen zu bekommen, Brot an die Kunden oder verkaufte es günstiger. Solche Methoden waren üblich. Nach der Wahl konnte man sich das Geld ja wiederholen, indem man einfach den Brotpreis anhob oder sich in der neuen Position Vorteile verschaffte. Ich vermute, dass dieser Mensch der Eigentümer des gesamten Häuserblocks war und ihm auch das Haus mit dem Thermalbad gehörte. Vielleicht waren die kleinen Häuser ursprünglich mit dem großen Haus verbunden gewesen. Dieser Mann überließ es vielleicht einem Freigelassenen und sagte: Mach da mal eine Bäckerei auf, ich finanziere dir das. Ich lasse auch meine Initialen auf die Mühlsteine setzen, damit klar ist, wer der Geldgeber ist, und du hilfst mir dann, wenn ich mich zum Ädil wählen lassen will. Das würde sehr gut in diese Gesellschaft passen. Wir haben aber, wie gesagt, bisher keine eindeutigen Hinweise, dass Aulus Rustius Verus tatsächlich dort wohnte. Ein Mann dieser Kategorie könnte auch mehrere Häuser in Pompeji besessen haben.
Das hätte nicht zum Selbstbild der wohlhabenden Eigentümer gepasst. Wir wissen aber durch eine Inschrift, dass es in Pompeji eine Frau gab, Julia Felix war ihr Name, die auf ihrem Anwesen ein Bad für einen Zeitraum von fünf Jahren vermietet hatte. Wahrscheinlich hatte sie dieses Bad in Konzession gegeben. Der Mieter betrieb es als öffentliche Therme und bezahlte mit den Einnahmen die Miete.
Das lässt sich bisher nicht sagen. Die Römer wurden eigentlich nie richtig erwachsen. In dem Sinn, dass selbst erwachsene Söhne formell der Herrschaftsmacht ihres Vaters unterstanden. Oft wohnten deshalb in diesen großen Häusern in Pompeji auch die erwachsenen Söhne mit ihren Familien. Zum Hausstand gehörten zudem Bedienstete und Sklaven.
Die Anlage ist sehr gut erhalten. Und wie eigentlich überall in Pompeji ist alles so, als seien die Bewohner gerade erst gegangen. Man betritt die Anlage und kommt sich fast wie ein störender Eindringling vor. Offenbar waren Renovierungsarbeiten im Gang, als der Vesuv ausbrach. Sowohl im Bankettsaal als auch im Peristyl-Hof, wo sich das große und das kleinere Wasserbecken befinden, legte man anscheinend Wert darauf, ältere Wanddekorationen zu erhalten und teilweise auch zu restaurieren. Sie sind im sogenannten dritten Stil gefertigt, der einige Jahrzehnte vor der Zerstörung der Stadt verbreitet war. Indem man das Alte restaurierte oder noch etwas Passendes dazumalte, sollte suggeriert werden, dass der Hausherr auf eine antike Tradition zurückblickt und nicht etwa ein Emporkömmling ist – vielleicht war er das aber sogar.
Im Bankettsaal steht sogar in griechischen Buchstaben Alexandros, Helena, Pares. Die Szenen mit den Athleten sind dagegen im Badekomplex. Sie verweisen auf das griechische Gymnasium, wo die griechische Jugend sich körperlich fit hielt und sich an Brunnen und Wasserbecken wusch. Diese Badekultur wurde von den Römern weiterentwickelt und perfektioniert, aber ihr Ursprung liegt in Griechenland. In Pompeji hätte man auch gern an die Tradition des Gymnasiums angeknüpft, aber es gab keinen Platz, um Sport zu treiben. Die Römer bewunderten die griechische Kultur, sie hatten ihr gegenüber eine Art Minderwertigkeitskomplex, obwohl sie Griechenland erobert hatten. Sie versuchten, die alten römischen Werte zu erhalten und gleichzeitig etwas von der griechischen kulturellen Raffinesse darin zu integrieren. In einem Brief bittet Cicero seinen Freund Atticus in Griechenland, Statuen für ihn zu kaufen, um seine private Villa auszustatten. Cicero beschreibt genau, was er will, und benutzt in seinem ansonsten auf Latein verfassten Brief einen griechischen Ausdruck. Die Statuen sollten „gymnasiodes“ sein – also an ein griechisches Gymnasium erinnern. Bei der Ausstattung des jetzt ausgegrabenen Hauses ist sicherlich Ähnliches passiert. Es ging darum, ein bestimmtes Flair zu schaffen.
Oder der Bambus und die Buddha-Statuen in vietnamesischen Restaurants in Rom.
Es geht mindestens auf das dritte oder zweite Jahrhundert vor Christus zurück. Aber es wurde ständig umgebaut und erweitert. Das Haus in seinem jetzigen Zustand ist das Resultat einer langen Entwicklung, so wie es dann beim Ausbruch des Vesuvs 79 nach Christus aussah.
Wir sind dort bisher auf die Skelette einer Frau und eines jungen Mannes gestoßen. Sie wurden in einem Raum von dem pyroklastischen Strom überrascht und starben.
Als Archäologe hat man gewisse Schemata im Kopf, welcher Gegenstand wohin gehört. Bei normalen Ausgrabungen findet man vieles auf Müllhalden und stellt es dann im Kopf wieder auf den richtigen Platz. Der Kochtopf gehört in die Küche, das kostbare Trinkgefäß in den Bankettraum. Aber die antike Welt war nicht so ordentlich, wie wir uns das ausmalen. Auf dem Beckenrand des Wasserbeckens stand ein Kochtopf. Er gehört eigentlich in die Küche, wurde vielleicht aber dort verwendet. Wir wissen, dass gerade Umbauarbeiten an dem Haus vorgenommen wurden. Offenbar haben die Leute auch damals schon viel improvisiert.
Das wird noch eine Weile dauern. Wir müssen die Ausgrabung erst zu Ende bringen. Dann werden Restaurierungsarbeiten vorgenommen und alles überdacht. Es liegt noch einige Arbeit vor uns.