Thomas Müller bestätigt Ende seiner DFB-Karriere nach Fußball-EM 2024

Thomas Müller hat nicht nur Zuschauern, Gegen- und manchmal auch seinen Mitspielern Rätsel aufgegeben. Er war so frei, auch den Schlüssel zu liefern. Wenn man also etwas über das Geheimnis des Fußballspielers Thomas Müller erfahren will, dann sollte man sich die ohnehin sehenswerte ARD-Dokumentation „Wir Weltmeister“ anschauen. Dort schildert Müller seinen Treffer zum 3:0 im WM-Auftaktspiel 2014 gegen Portugal als „eines meiner Lieblingstore“ überhaupt. „Weil es eine meiner großen Stärken zeigt, die mir auch immer wieder veranschaulichen, wieso ich im Weltfußball gut funktioniere.“ In diesem Fall funktionierte Müllers Kopf nicht so, dass er das Naheliegende tat, sich auf die Flanke von Toni Kroos und einen Abschluss zu fokussieren, sondern so, den Umweg schon mitzudenken, nämlich, dass Bruno Alves die Flanke blocken würde. So wurde die Antizipation des Abprallers gewissermaßen der Assist zu Müllers Abschluss. „Das ist eigentlich so eine Art Beispiel für alle Experten, die sich über all die Jahre immer so die Frage gestellt haben: ‚Wie macht er das eigentlich?‘“, sagte Müller und ließ die Antwort folgen: „Eine kleine Analysesoftware, die einfach schnell arbeitet. Vielleicht habe ich einen guten Chip oben drin.“ Müller hatte das Glück, einen der besten Chips auf dem Markt zu haben, einen, der Lauf- und Flugwege berechnete, die sich anderen entzogen. Vielleicht vor allem deshalb, weil das Interface zum Menschlichen, zur Intuition, so gut wie bei kaum einem anderen funktionierte. Es ist aber im Fußball manchmal so, dass auch der beste Chip nicht mehr wie gewünscht funktioniert. Weil die sonstige Hardware nicht mehr State of the Art ist oder weil die eigene Rechenleistung nicht mehr reicht, um dem State of the Art der anderen zu genügen. „Heute sage ich dem Bundesadler Servus“ Thomas Müller hat am Montag jedenfalls seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt gegeben, im Alter von 34 Jahren. Es war keine ganz große Überraschung mehr, er hatte schon am Abend nach dem Viertelfinal-Aus gegen Spanien von der Möglichkeit gesprochen, dass dies sein letztes Länderspiel gewesen sein könnte. Seine endgültige Entscheidung teilte Müller am Montag in einem Video mit. „Nach 131 Länderspielen und 45 Toren sage ich dem Bundesadler heute Servus“, so der Angreifer in dem Clip, der ihn auf seinem Heimatsportplatz in Pähl zeigt: „Als ich vor über 14 Jahren mein erstes Länderspiel in der deutschen Nationalmannschaft absolvieren durfte, hätte ich mir all das nicht erträumen lassen, großartige Siege und bittere Niederlagen.“ In sein letztes Turnier war Müller nicht mehr als der frühere Supercomputer gegangen, sondern als „Connector“, wie Nagelsmann das formuliert hatte, ein Bindeglied zwischen Generationen und Charakteren. Aber auch in dieser Rolle wird er offenbar nicht mehr gebraucht. Zum Einsatz kam er bei der EM im ersten und im letzten Spiel, im ersten wohl auch als Reverenz an das Münchner Publikum, als „Gimmick“-Wechsel, wie Nagelsmann das später nennen sollte, und im letzten als jemand, der noch einmal für Deutschland Chaos mit Methode stiften sollte. Und tatsächlich schien der Spielverlauf nicht abgeneigt, ihm, Nagelsmann und ganz Fußball-Deutschland noch einmal einen Müller-Moment zu bescheren, aber am Ende reichte es nicht ganz. Von Maradona für einen Balljungen gehalten Wenn in diesen Tagen des zehnten Jubiläums auf den größten deutschen Fußballerfolg eines halben Jahrhunderts zurückgeschaut wird, den WM-Titel 2014, sind oft andere im Fokus, allen voran Mario Götze, der Siegtorschütze im Finale, der vorher im Turnier aber nur eine Nebenrolle hatte. Aber, wenn man fragt, wer das Ganze ins Rollen gebracht hat, muss die Antwort lauten: Thomas Müller. Mit seinen drei Toren im Auftaktspiel gegen Portugal und dann noch mal mit einem weiteren, als die Deutschen in eine Selbstblockade gelaufen waren, beim 2:2 gegen Ghana, und es im finalen Gruppenspiel gegen Jürgen Klinsmanns Team USA einen Problem- und Brustlöser brauchte. Und auch im Jahrhundertspiel, dem 7:1 gegen Brasilien, das sich am 8. Juli zum zehnten Mal jährte, war es Müller, der mit dem 1:0 in der elften Minute dem Wahnsinn Tür und Tor öffnete. Es habe ihn „immer sehr stolz gemacht, für mein Land aufzulaufen. Wir haben gemeinsam gefeiert und manchmal auch gemeinsam eine Träne verdrückt“, blickt Müller in dem Video auf seine Karriere im DFB-Dress zurück. Für die Turniermannschaften danach war es ein Pech, dass Müller nie wieder so wirkungsvoll war wie in jenem Sommer 2014 und in dem vier Jahre davor in Südafrika, als er mit 20 Jahren lustvoll drauflosstürmte und mit fünf Treffern zum (geteilt) besten Torschützen des Turniers wurde – mit der Rückennummer 13 des großen Gerd Müller nebenbei, nachdem er sich im Trainingslager zuvor noch unschuldig-überrascht gezeigt hatte, dass es feste Rückennummern geben würde. Dass man bei Müller auch im Gespräch nie vor Überraschungen und Pointen sicher sein konnte, gehörte zu seinem besonderen Charme der Natürlichkeit, der ihn zu einer der großen Sympathiefiguren im Nationaltrikot überhaupt machte. Diese Gabe hat Müllers Karriere im Nationalteam womöglich auch etwas über die sportliche Zeit verlängert. Aber wie groß die Sehnsucht nach solchen Typen ist und was sie auslösen können, erlebte man zuletzt noch einmal im September 2023, beim 2:1 gegen Frankreich in Dortmund unmittelbar nach der Trennung von Hansi Flick. Es war noch mal eine ziemlich gute Pointe in Müllers Karriere. Die vielleicht beste aber war, wie er nicht erst 2014, sondern schon 2010 bei einem 4:0 etwas ins Rollen brachte, mit dem 1:0 gegen Argentinien im Viertelfinale nach nur drei Minuten. Es war nur ein paar Monate nachdem er bei seinem Länderspieldebüt von dessen Trainer für einen Balljungen gehalten wurde. Wie Müller mit diesem Körper und diesem Kopf funktionierte, musste nicht nur der große Diego Maradona erst begreifen.