Handball und Hygge :
Dänemark und der Weg zur Weltmacht

Von Frank Heike, Herning
Lesezeit: 4 Min.
Vom Toptalent zum Weltbesten: Matthias Gidsel ist in einer Dorfhalle groß geworden.
Viel Geld zum Verteilen, kluge Talentförderung und Hygge in den Hallen: So ist das kleine Königreich Dänemark zum Maßstab im Handball geworden. Nun wartet Brasilien – und dann wieder Deutschland?
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Eine typisch dänische Hallen-Cafeteria kommt mit wenig aus. Ein kleiner Verkaufsstand in einem Nebenraum, Kaffee, Tee, Cola und Wasser, dazu Brötchen und – natürlich – Süßigkeiten. In der größeren Variante gibt es Tische und Stühle, eine Eistruhe und Hotdogs. Bewirtet wird das Ganze von Eltern oder der Frau des Hausmeisters.

Geöffnet an den Haupt-Trainingstagen und am Wochenende sowieso, ist die Cafeteria Versammlungsort vor und nach Spielen, der Raum, wo Babys „geparkt“ und die kleinen Geschwister versorgt werden. Bälle sind verboten, aber die fliegen in der Halle sowieso herum, bis es draußen dunkel wird.

Jan Kampman schmunzelt. Der Präsident des dänischen Handballverbandes spricht fließend Deutsch. Als er Kind in Varde war, konnte er im Fernsehen „Derrick“ und „Der Alte“ schauen, später hat er in Hamburg als Tischler gearbeitet. Der Sechzigjährige kennt das Regime in deutschen Hallen: Kein Zutritt ohne Hausmeister! Von Möglichkeiten der Versammlung und Verpflegung ganz zu schweigen.

„Viel mehr Leben in der Halle“

Eigene Hallen baut der dänische Handballverband nicht, das liegt auch hier in der Zuständigkeit der Kommunen. Aber Politik und Sport sind sich einig, dass die Halle keine Hochsicherheitszone darstellt, die nur von Hausmeisters Gnaden zu betreten ist. Dazu sagt der dänische Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen, der fünf Jahre die Rhein-Neckar Löwen anleitete: „In Dänemark ist viel mehr Leben in der Halle, den ganzen Tag! Wenn mein Sohn nichts zu tun hat, geht er in Svendborg in die Halle, dann kann er die sieben Stunden nutzen mit seinen Kumpels, da können sie rumlaufen, trainieren, essen, spielen und Spiele gucken – was weiß ich nicht alles.“

Die dänische Handball-Hegemonie fußt auf mehreren Säulen. Die Hallen und die „Hygge“ dort drinnen sowie ihre Zugänglichkeit sind eine. Die andere sind die Millionen, die aus den Turniererträgen fließen – und deren Gewinn zweckgebunden ist, wie Kampman erklärt: „Wir zahlen nicht so viele Steuern auf die Eintrittskarten. Aber wir müssen die Erlöse dafür an die Breite geben.“

Der Spitzenhandball mit den Frauen- und Männernationalmannschaften an der Spitze finanziert sich allein aus Sponsoring und TV-Geld – der aktuelle Männer-Sponsor Norlys zahlt bis 2027 etwa 1,6 Millionen Euro pro Jahr. Wer auf der dänischen Brust stehe, gehöre zu den Großen im Land, sagt Kampman.

Dieses System der Finanzierung erdachte der Verband vor 15 Jahren, um Handball größer, erfolgreicher und nachhaltiger zu machen. Inzwischen hat „Dansk Haandbold“ bis in die Dreißigerjahre so viele Großveranstaltungen bei Frauen und Männern ergattert, dass kein Ende der sprudelnden Einnahmen und der Erfolge abzusehen ist.

„Efter­skole“ als eine Besonderheit

Direkt an die Klubs geht dabei nichts. 20 „Konsulenten“ sind am Verbandssitz in Kopenhagen hauptamtlich angestellt und haben über Dänemark verteilt regionale Zuständigkeiten. Die Vereinsberater kommen in die Klubs, unterstützen bei der Trainerausbildung, bei Kleinkindprojekten, bei der Verwaltung, beim Neubau oder finanziellen Schwierigkeiten. Die Vereine bleiben autark – die Ratschläge sind nur Empfehlungen. Kampman deutet an, dass das Konsulenten-System teuer sei, aber auch erfolgreich.

Etwa 100.000 aktive Handballspieler gibt es in Dänemark mit seinen rund sechs Millionen Einwohnern. Handball wird im Kindergarten gespielt, im Schulsport sowieso. Eine Besonderheit ist die „Efter­skole“ – in diesen Internatsschulen werden landesweit Lernrückstände der zehnten Klassen auf dem Weg zum Abitur aufgearbeitet.

Nebenbei gibt es Ausbildung in Kunst, Musik, Theater – oder Handball. Etwa zehn von ihnen haben einen Handballschwerpunkt. Die bekannteste ist die in Oure auf Fünen. Durch die Hallen dieses Dorfes mit 500 Einwohnern hat sich die gesamte Elite geworfen: Mikkel Hansen, Niklas Landin, Mathias Gidsel. Oure ist auch dank dieser Vorbilder die Keimzelle der dänischen Dominanz.

Bis zum Alter von 15 Jahren bleiben Talente in den Vereinen. Erst dann geht es in die Internate. Bei den U-Mannschaften bilden nicht Titel den Mittelpunkt, sondern Entwicklung: Dass sich Talent unterschiedlich ausbildet, was Länge, Kraft, Motivation angeht, ist für die Dänen nichts Neues.

Treiber diverser Entwicklungen

Spaß steht lange im Vordergrund, und niemand soll durch den Rost fallen – wer sportlich nachlässt, kann immer noch ein guter Trainer, Geschäftsführer oder Freiwilliger im Handball sein. Das kleine Königreich will allen eine Heimat bieten. Die Besten spielen noch zwei, drei Jahre in der ersten dänischen Liga und reifen. Die Allerbesten wechseln mit 23 Jahren ins Ausland. Wie Gidsel, wie Simon Pytlick.

Dansk Haandbold ist Treiber diverser Entwicklungen. In Herning, mit der Arena für 15.000 Menschen und der großartigen Fanzone, in der die Spieler noch bis 23 Uhr in Badelatschen Autogramme schreiben, mag das Handballherz schlagen, aber ein bisschen mehr Komfort für Fans in Gestalt einer Hallenmodernisierung und schicker Hotels dürfte es gern sein.

Das verlangt der Verband nun von der Stadt. Wie es auch nicht in Stein gemeißelt ist, immer hier zu bleiben: „Wir versuchen alles, was wir können, um in Kopenhagen zu spielen“, sagt Kampman. Das Finale der EM 2031 soll dort im „Parken“ stattfinden. Bei den Männern steht an diesem Mittwoch (17.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM und bei Sportdeutschland.TV) aber erstmal das WM-Viertelfinale gegen Brasilien an. Im Halbfinale könnte es abermals zu einem Duell mit Deutschland kommen; in der Hauptrunde siegten die Dänen 40:30.

Der Erfolg gibt Kampman und dem Verband recht. Acht der zehn meistgesehenen Sendungen 2024 waren Handballspiele. Beim Bäcker, im Zug, in der Bibliothek sind Gidsel und Co. Tagesthema, was auch daran liegt, dass die Fußballliga bis Februar pausiert. „Die Leute sollen uns gern zuschauen“, sagt Kampman, „in der Halle und am Fernseher. Wir arbeiten daran, dass die Mannschaften schönen Handball spielen.“ Erfolgreich und schön – eine unschlagbare Kombination.

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