Tränen bei Snooker-WM : Der emotionale Triumph des Kyren Wilson
Der Bruder zu Tränen gerührt wie er selbst, die beiden Söhne heiter an seinen Hosenbeinen, und irgendwo im Hintergrund die Ehefrau, die Mutter und der Vater an Krücken: Es war eine dramatische Familienaufstellung, die sich am späten Montagabend in der Mitte des Crucible Theatre in Sheffield bildete.
Die unzähligen Fotos davon, die im Konfetti-Gewitter über dem Snookertisch gemacht wurden, mochten auf den ersten Blick an ein bittersüßes Kammerspiel von Harold Pinter erinnern – tatsächlich handelte es sich um die ersten Momente nach einem realen Triumph. Nichts weniger bedeutete der größte Sieg, den Kyren Wilson in seiner Laufbahn als Snooker-Profi gerade errungen hatte, und zwar nicht nur für ihn.
Es ist schon eine seltsame Geschichte, die sich um den 32 Jahre alten Billardprofi aus den East Midlands und seinen Wunsch, Weltmeister zu werden, entsponnen hat. Seit mindestens zehn Jahren wird „The Warrior“, wie er wegen seiner Matchhärte gerufen wird, das Potential dazu nachgesagt. Dass es trotzdem so lange gedauert hat, bis er die Prognosen einholen konnte, hat mit den Tücken eines komplexen Mentalsports zu tun. Und mit dem ewigen Ronnie O’Sullivan, der ihn bei seinem ersten, unter strengen Corona-Regeln ausgetragenem WM-Finale vor vier Jahren wie einen Anfänger aussehen ließ. Überfordert von der Chance, die sich ihm bot, ging Wilson in einer einseitigen Partie mit 8:18 Frames (Sätzen) unter.
Die Enttäuschung darüber war so systemisch wie die Freude ob des 18:14-Sieges über den walisischen Qualifikanten Jak Jones, mit dem Wilson im zweiten Anlauf die Trophäe erobern konnte. Denn in seinem Kopf spielt der „Krieger“ im Grunde für eine gesamte Sippschaft, wie er den TV-Experten der BBC später erklären sollte. Also für die Eltern, die mehrere Hypotheken auf ihr Haus aufgenommen haben, damit ihr Sohn sich darauf fokussieren konnte, zu einem der komplettesten Spieler auf der Main Tour zu werden. Sowie für seinen Bruder Taylor, der sich ihm vor Jahren als mitreisender Manager zur Seite gesellt hat.
„Und so geht diese Liste weiter und weiter“, führte der Sieger gerührt aus, weil hinter seiner Leistung „die Anstrengung eines breiten Teams“ stehe.
Da wollte einer nicht vergessen, wo er herkommt, und ein Erlebnis auskosten, „das mir keiner jemals wegnehmen kann“. Darum tauchten bald noch mehr Wilsons im Innenraum auf, zusammen mit Trainer Bill Clark, der das ehrgeizige Talent auf seinem Weg zum Titel rechtzeitig in Bestform gebracht hat. Vor dieser Übermacht konnte Jak Jones nur kapitulieren. „Wenn es einer verdient hat, dann er“, sagte Jones.