Tränen bei Fahnenträgerin : „Da ist Judo knallhart“

Anna-Maria Wagner richtet so gut wie alles auf diesen Tag aus. Dann platzt der große Traum der deutschen Fahnenträgerin bei Olympia. Von ihrem Lieblingssport will sie erstmal nichts wissen.
Platz fünf. Es gibt, abgesehen von einer schweren Verletzung, für eine Judoka kaum Schlimmeres. Zumindest für eine, die als Weltmeisterin zu den Olympischen Sommerspielen gekommen war. Die 2021 in Tokio zwei Bronzemedaillen gewonnen hatte, eine als Einzelkämpferin, eine im Mixed-Wettbewerb, und die danach drei Jahre lang so gut wie alles auf diesen einen Tag ausgerichtet hatte, der zu dem ihrem hatte werden sollen.
Anna-Maria Wagner standen am Donnerstag die Tränen in den Augen. Ihre Stimme versagte zunächst, ehe sie einzuordnen versuchte, was ihr kurz zuvor auf der Judomatte widerfahren war. „Es ist total bitter“, lauteten ihre ersten Worte, nachdem erst im Halbfinale ihre Goldträume geplatzt waren und sie später auch noch den Kampf um Bronze verloren hatte. „Gerade sitzt der Schmerz tief, die Kämpfe werden mich noch sehr lange beschäftigen“, sagte die 28 Jahre alte Halbschwergewichtlerin, die nach Miriam Butkereit am Vortag die zweite Medaille für den Deutschen Judo-Bund in Paris vor Augen hatte.
Im entscheidenden Moment nicht wachsam genug
Gold hatte sie sich schnappen wollen, doch das Einzige, was Anna-Maria Wagner bisher fürs Team D in den Händen hielt bei diesen Sommerspielen, war die Fahne. Die Sportsoldatin durfte mit Basketball-Weltmeister Dennis Schröder bei der Eröffnungsfeier quasi als erste deutsche Bootsfrau über die Seine schippern. Das „tolle Erlebnis“ hätte sie schnell abgehakt, sich zurückgezogen und ganz auf ihren Kampftag in der Champ de Mars-Arena konzentriert, sagte die Ravensburgerin. „Ich bin ja nicht als Fahnenträgerin auf die Matte, sondern als Anna-Maria-Wagner, die eine Medaille will.“ Wagner hatte ihre Chancen, war im entscheidenden Moment aber nicht wachsam genug.
Der morgendliche Teil des Tages war noch wie erwünscht verlaufen. Fürs Achtelfinale gesetzt, zog Wagner nach zwei Siegen in der Klasse bis 78 Kilogramm ins Halbfinale gegen Inbar Lanir aus Israel ein, unterlag dort aber der Weltmeisterin von 2023 durch Ippon. Die Niederlage, unglücklich zustande gekommen, verdrängte die zweimalige Weltmeisterin auf die Schnelle: „Ich habe meinen Kopf umgestellt, mir gesagt, abhaken, voller Fokus auf den Bronze-Kampf.“
Dort sah es vier Minuten vielversprechend aus gegen die Chinesin Ma Zhenzhao. Dann, nach zwölf Sekunden in der Golden-Score-Verlängerung, eine Unaufmerksamkeit. Sie habe „leider eine Sekunde geschlafen“ und sich nicht von der Stelle bewegt, sagte Wagner: „Da ist Judo knallhart, sie hat mich erwischt und der Kampf war vorbei.“ Ohne Edelmetall für Anna-Maria Wagner.
Von ihrem Lieblingssport will sie bis zum Mixed-Wettbewerb am Samstag nichts wissen. Erst verarbeiten, dann wieder angreifen. „Mit dem Teamgeist klappt es besser“, sagte Wagner. Da klang sie wieder halbwegs gefasst.