Jasmin Jüttner :
„Karate hilft dabei, resilient gegen Rückschläge zu sein“

Lesezeit: 3 Min.
Ständig in Bewegung: Karateka Jasmin Jüttner
Für die Olympiateilnehmerin Jasmin Jüttner ist Karate nicht nur Sport, sondern eine Lebensweise. Mit Vorurteilen gegenüber ihrer Sportart räumt sie gerne auf.
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Jede Bewegung eines Karateka trachtet nach Perfektion. Nicht akzeptabel, nicht gut, nein, perfekt muss es sein. Denn jede Faser des Körpers ist darauf aus, mit Schnelligkeit, Stärke und Eleganz die Technik makellos auszuführen. Das ist das Kata – die Übungsform des Kampfes im Karate.

Nicht fest und unbeweglich soll es sein, sondern wie Wasser ständig in Bewegung, hat einst der Japanische Großmeister und einer der Begründer des modernen Karate, Mabuni Kenwa, über das Kata gesagt: „Es passt sich der Form des Gefäßes an, in dem sie sich befindet.“ Ein Gefäß für den Ausdruck von Perfektion zu sein, danach strebt seit jeher auch die Wiesbadener Sportsoldatin Jasmin Jüttner. Wenn von Freitag an in Paris die 32 besten Karateka der Welt um Punkte für die WM-Qualifikation kämpfen, wird Jüttner an einen Ort zurückkehren, an dem sie diesem besonderen Zustand von Perfektion einst so nah kam.

Es ist das Jahr 2021 und Jüttner steht inmitten des Stade Pierre Stade de Coubertin in Paris. Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Japan – der Heimat dieses traditionsreichen Kampfsports. Doch weder vom Druck der Erwartungen noch den Scheinwerfern der Sporthalle lässt sich die knapp 1,60 Meter große Jüttner beeinflussen: „Ich habe keine Anstrengung verspürt. Ich war begeistert und freudig in jeder meiner Bewegungen“, sagt sie: „Ich musste mich fast beherrschen, mit meinem Gesichtsausdruck doch nicht zu zeigen, wie viel Freude, wie viel Spaß ich in diesem Moment hatte. Das war so eine Leichtigkeit, als würde ich über diese Matte fliegen. Ohne jegliche Mühe.“

Karateka Jasmin Jüttner beim Training im Budocenter Karamitsos in Frankfurt.
Karateka Jasmin Jüttner beim Training im Budocenter Karamitsos in Frankfurt.Frank Röth

Der Lohn dieser Mühelosigkeit: Keine zwei Monate später kann Jüttner ihr Können auch in Tokio zur Schau stellen – einige Fahrtstunden entfernt von Mabuni Kenwas letzter Ruhestätte. Trotz eines siebten Platzes bei der vorerst letzten Karatepräsenz bei den Olympischen Spielen lässt Jüttner keinen Raum für Zweifel oder Bedauern zu: „Karate hilft einem dabei, resilient gegen Rückschläge zu sein, es stärkt das Selbstbewusstsein, egal was da im Leben kommt“, sagt die heute 31 Jahre Karateka und richtet ihren Fokus auf die anstehenden Wettkämpfe in Paris, für welche sie in den vergangenen Wochen so hart trainierte, als ginge es wieder um die Olympischen Spiele.

Für Jüttner ist Karate nach eigenen Worten nicht nur ein Beruf oder Sport, sondern eine Lebensweise, der sie von klein auf alles untergeordnet hat, um zu den Besten der Welt zu gehören. „Mein Papa war ein großer Bruce Lee Fan und hatte mich damals als Kind in einem Verein angemeldet“, erinnert sie sich. „Mit Zwölf habe ich dann angefangen im Bundesstützpunkt in Frankfurt zu trainieren.“ Hier findet Jüttner die perfekten Bedingungen, um ihr volles Potential zu entfalten.

„Das war so eine Leichtigkeit“, sagt Jüttner.
„Das war so eine Leichtigkeit“, sagt Jüttner.Frank Röth

Unter der Leitung von Bundestrainer Efthimios Karamitsos, einem der weltweit führenden Spezialisten in der Disziplin Kata, wird Jüttner nicht nur zehnmalige deutsche Meisterin, sondern gewinnt mit dem Nationalteam auch die WM. „Mein Trainer ist eine Koryphäe,“ sagt Jüttner. „Er kann mir alles ganz genau erklären, was es mit den Techniken auf sich hat. Man könnte sich bloß hinsetzen, ihm zuhören und wüsste schon mehr über Karate als viele andere.“

Doch trotz des hohen Traditionsbewusstseins ist Karate alles andere als ein antiquierter Kampfsport mit archaischen Trainingsmethoden, wie man sie aus zweitklassigen Actionfilmen kennt. So gehören zu Jüttners Routine regelmäßiges Krafttraining mit modernsten Geräten, sowie Betreuung durch Physiotherapeuten aber auch einem Mentalcoach. Denn mit einer starken Psyche gelingt auch eine bessere Kontrolle über den Körper. Das Training fuße wie in jedem anderen professionellen Leistungssport auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Auch angesichts der wachsenden Popularität der sogenannten Mixed Martial Arts (gemischte Kampfkünste), vor allem unter jungen Menschen, ist Karate längst nicht aus der Mode gekommen. So ist der Deutsche Karate Verband mit aktuell fast 145.000 Mitgliedern der mitgliederstärkste Kampfsport-Spitzenverband in Deutschland. Was nicht bedeutet, dass Jüttner nicht noch immer einigen Vorurteilen begegne.

„Was? Du machst Karate? Dann kannst du mich sicher mit einer Hand fertig machen“, erzählt Jüttner schmunzelnd über manche Reaktionen, wenn sie jemandem das erste Mal von ihrem Beruf erzählt. „Wenn ich jedes Mal einen Cent für solche Sprüche bekommen würde, könnte ich mir davon mittlerweile in Wiesbaden eine Wohnung kaufen.“ Geduldig erklärt die Schwarzgurtträgerin dann Interessierten, was es mit Karate, vor allem dem Kata, wirklich auf sich hat.

Jüttners langfristiges Ziel wäre es aber, nach der aktiven Wettkampfphase die nächste Generation an deutschen Karate-Talenten auszubilden: „Ich weiß, dass ich nicht mehr an den Olympischen Spielen teilnehmen werde. Es wird noch lange dauern, bis Karate wieder ins Programm aufgenommen wird“, sagt sie: „Aber es wäre schön, wenn ich irgendwann mit meinen Schülern als Trainerin zurückkehren könnte. So würde sich der Kreis schließen.“ Bis dahin aber freut sich Jüttner, endlich wieder in Paris antreten zu können, wo es auch diesmal nicht um passabel oder annehmbar gehen wird, sondern um möglichst ­perfekt.

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