Auch die Mode lässt sich als großes Gesellschaftsspiel betrachten, der richtige Zug zum richtigen Zeitpunkt ist entscheidend, aber es braucht auch Glück. Maria Grazia Chiuri gehört mit Dior seit fünf Jahren zu den Gewinnerinnen dieses Spiels. Ihr erster schlauer Einfall, damals 2016, zum Debüt, war das „We Should All Be Feminists“-T-Shirt. Zwei Monate später wurde Donald Trump Präsident und sehr viele Frauen daraufhin zu Feministinnen. Was sie entwirft, verkauft sich die Generationen rauf und runter, das können wahrlich nicht alle Kreativ-Direktoren von ihrer Damenmode behaupten. Auch die Babydoll-Kleider und knappen Kostüme für das kommende Frühjahr, für die Chiuri das Schauentheater in ein Gesellschaftsspiel hat verwandeln lassen, werden Dior noch ein bisschen wertvoller machen. Nicht, weil sie modegeschichtlich die Ära des Sechziger-Jahre-Designers Marc Bohan zitieren, sondern, weil sie in den optimistischsten aller Farben, in Gelb, Pink, Wasserblau und Grasgrün mit ihren Tierprints, den Krokodilen, Löwen und Zebras, so wiedererkennbar sein werden wie ein zweites Logo. Und das erste ist bei Dior längst ein Garant für Cash. Zehn Jahre ist es her, dass Olivier Rousteing Balmain als Kreativ-Direktor übernommen hat. Damals war er gerade mal 25. Die Zeit war kein Spaziergang. „Wenn man 25 ist und die schlechtesten Kritiken bekommt, denkt man, das Leben wäre vorbei“, sagte er dem F.A.Z.-Magazin vor drei Wochen. Umso größer ist das Event, das er sich jetzt gönnt. Eine Konzerthalle am Stadtrand von Paris. Buden mit Balmain-Fanartikeln. Diverse Bars. Live-Acts. Ein Nachtclub. Beyoncé aus den Lautsprechern, die eine Hymne auf ihn aufgenommen hat. Und dazwischen, im Hauptprogramm, seine Schau. Wenn andere Designer in dieser Saison auf Freizügigkeit setzen, dann zeigt Olivier Rousteing ihnen, was ein BH-Top ist, oder ein BH-Kleid. Es folgt viel Leder in Schwarz-Weiß, auch für Männer. Dann tragbare Schmuckstücke, ein Top mutet an wie ein Collier, eine Jacke wie eine tragbare Chanel-Tasche. Das Finale ist wirklich eins: Olivier Rousteing hat nicht nur Naomi Campbell für sich gewinnen können, sondern auch die ehemalige Première dame, Carla Bruni. Am Ende steht er ganz allein auf der Bühne. Das ist sein Moment. Sind wir in Berlin? Oder in Paris? In jedem Fall ist der unsanierte Altbau im feinen siebten Arrondissement recht untypisch. Für Christa Bösch and Cosima Gadient, die eigentlich von Neukölln aus arbeiten und in diesen Fashion-Week-Tagen unsere Frauen in Paris sind, während sie ansonsten eher - mit Vollblut-Fans wie Beyoncé, Cardi B und Kim Kardashian - deren Frauen in Berlin sind, fügt es sich so natürlich. Ihre Mode ist bewusst unfertig, viele Stücke lassen sich mit Schnüren um den Körper wickeln. Das hat den Nebeneffekt, dass diese sich so nach Belieben betonen lassen, und das passt der Fangemeinde gerade recht. Endlich wieder stuckverzierte Wände! Die ersten richtigen Prêt-à-porter-Schauen seit anderthalb Jahren führen auch an die üblichen Luxusorte der Stadt, wie das Hotel Shangri-La. Das ist so übertrieben dekoriert, dass es Koché schon wieder die Hand reicht, den Alltagsstücken und Cocktailkleidern, wobei so gut wie alles auf schick gemacht ist, mit Pailletten und Federn. Davon dürfen es gerade ruhig ein paar mehr sein. Selbst in der Pandemie können junge Designer-Karrieren beginnen, das zeigt das Beispiel Charles de Vilmorin. 2019 machte er seinen Abschluss, 2020 präsentierte er unter eigenem Namen eine erste Kollektion, 2021 wurde er Chefdesigner von Rochas. Den Traumwelten des Traditionshauses mischt er zum Debüt ein wenig Pfeffer bei, schneidet in die Lederjacken an den Schultern Cut-Outs, setzt auf florale Muster noch Kleider mit Motiven, die an Jean-Charles de Castelbajac erinnern. Der ist für den Mode-Optimismus dieser Tage keine unwichtige Figur. Auch Luxusmode bleibt heute immer kürzer im Besitz ihrer Kundin, bevor sie die Teile weiterverkauft, etwas Neues braucht. Gabriela Hearst zeigt mit ihrer Kollektion zumindest einen optischen Gegenentwurf dazu: Die Knoten-Kleider, das Patchwork sehen aus, als hätte sie ein lieber Mensch von Hand als persönliches Geschenk gefertigt. Und die Muscheln müssen doch sicher mühsam am Strand gesammelt und anschließend wie Schätze auf die Kleider appliziert worden sein! Klar, dass auch Chloé modernen Produktionsrhythmen folgt. Aber diese Botschaft sieht zumindest außerordentlich freundlich aus. Dries Van Noten ist aus Antwerpen zugeschaltet und zündet digital, per Livestream-Schau, ein Feuerwerk. Das taucht dann auch auf einem Mantel auf. Überhaupt sind Lichteffekte unterhaltsame Elemente einer Onlinepräsentation, nur steht die Mode so häufig im Schatten. Was sichtbar ist: Röcke, die ausschließlich aus Fransen zu bestehen scheinen. Extrem dekorierter Schmuck. Mega-Plateausandalen. Farben. Mode, die rauswill aus dem digitalen Raum.