Tod von Joseph Wulf :
Symptome einer Retraumatisierung

Von René Schlott
Lesezeit: 3 Min.
Joseph Wulf (22. Dezember 1912 bis 10. Oktober 1974) veröffentlichte sein erstes Buch 1955 gemeinsam mit Léon Poliakov: „Das Dritte Reich und die Juden. Dokumente und Aufsätze“. Seine späteren Bücher über einzelne gesellschaftliche und kulturelle Sphären im Hitlerreich gingen mit unbequemer Genauigkeit ins personengeschichtliche Detail.
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Am 12. Oktober 1974 veröffentlichte die F.A.Z. folgende Meldung der Deutschen Presse-Agentur: „Der jüdische Schriftsteller und Historiker Joseph Wulf ist in Berlin gestorben. Wulf stürzte aus dem Fenster seiner Wohnung in der Giesebrechtstraße in Charlottenburg. Die Polizei nimmt an, daß es sich um Selbstmord handelt, da Wulf an seelischen Depressionen gelitten habe.“ In der dpa-Meldung werden anschließend kurz die Lebensstationen des 1912 in Chemnitz geborenen und in Krakau aufgewachsenen Wulf aufgezählt, der nach 1939 als Jude von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, in den Widerstand ging und das Lager Auschwitz überlebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Wulf zu den Gründern der Jüdischen Historischen Kommission in Polen, bevor er sich 1952 im Westteil Berlins niederließ, um sich im Land der Täter der Dokumentation des Menschheitsverbrechens zu widmen, das damals mit dem jiddischen Wort „Churbn“ für Zerstörung bezeichnet wurde. Wulf gab zahlreiche Quellenbände mit Akten und Korrespondenzen heraus. Für sein unermüdliches publizistisches Engagement erhielt er Anerkennung, darunter die Ehrendoktorwürde der FU Berlin, erntete aber auch offene Feindseligkeit.

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