Räumliche Struktur von Botox : Ein Gift mit mehreren Seiten

Botulinumtoxin, besser bekannt als Botox, ruft - versehentlich aufgenommen - schwere Vergiftungen hervor. Forscher klärten jetzt die Raumstruktur des Stoffes auf, was neue Therapien ermöglichen könnte.
“Blut- und Leberwürste, die nach dem Februar noch im Kamin sind, soll der Schornsteinfeger mit allem Unrath wegwerfen.“ Zu diesem Schluss kam der württembergische Arzt Justinus Kerner, als er sich Anfang des 19. Jahrhunderts mit Fällen von Botulismus befasste. Ihren Namen trug die Krankheit noch nicht. Schon damals war aber klar, welche Lebensmittel die tödlichen Vergiftungsfälle auslösten, bei denen das Toxin eines Bakteriums die motorischen Nerven lähmt. Erst 1897 gelang es, Erreger und Gift auch zu identifizieren, und zwar wieder in einem Fleischprodukt, einem Schinken. Das Gift Botulinumtoxin erhielt schließlich seinen Namen vom lateinischen Wort „botulus“, Wurst. Ende des zwanzigsten Jahrhunderts begann der Stoff eine zweite Karriere unter dem Namen „Botox“: Er lähmt nicht nur, mit verdorbenen Fleischwaren aufgenommen, den Körper, sondern er kann auch therapeutisch und kosmetisch - zur Faltenglättung - eingesetzt werden.
Bindung an die Darmwand
An der Medizinischen Hochschule Hannover befasst man sich vor allem mit den schädlichen Wirkungen des Toxins. Im vergangenen Jahr beschrieb ein Team um Andreas Rummel, wie ein Protein das Toxin gegen das feindliche Milieu in Magen und Dünndarm schützt. Mit einer neuen Publikation in „PLOS Pathogens“ konnten die Forscher nun auch aufklären, wie das Toxin in die Blutbahn entlassen wird, nachdem es an der Dünndarmwand angedockt hat - und bei der Gelegenheit auch zeigen, wie das Gift eigentlich aussieht.

Für den Vorgang des Andockens lagern sich drei weitere Proteine zu einem zwölfteiligen Komplex zusammen. „Die Struktur erinnert entfernt an das Mondlandemodul der Apollo-Mission“, so Rummel. Dieser Komplex bindet über Kontaktpunkte an Zucker auf dem Dünndarmepithel und öffnet Zell-Zell-Kontakte, um das Toxin in die Blutbahn gelangen zu lassen.
Mit Hilfe von Röntgenstrukturanalyse stellten die Wissenschaftler die Raumstruktur des Komplexes dar, der aus mehr als 6500 Aminosäuren besteht. Die Forscher hoffen jetzt auf neue Therapiestrategien, die darauf abzielen könnten, die Resorption des Toxins zu verhindern.