„Wörterbuch des Krieges“ : Am Bahnhof die Apokalypse

Ostap Slyvynsky ist Poet, doch statt Gedichte schreibt er jetzt ein „Wörterbuch des Krieges“. Ein Gespräch in Lemberg über das Leben in der Ukraine, welches so brutal ist, dass es darin keinen Platz für Phantasie mehr gibt.
Der Dichter hat keine Wut, hat keinen Hass – und will einen Rotwein. Doch Rotwein gibt es nicht auf der Terrasse. „Sie müssen rein“, sagt die dünne, platinblonde Kellnerin des italienischen Lokals im Westen der Ukraine. Der Dichter nickt. Und er erklärt: „Das ist der Krieg“. Macht eine Pause. Sagt: „Viele Restaurants wollen auf den Terrassen keinen Alkohol verkaufen.“ Drinnen Dunkelheit und fröhliche Musik. Der Dichter heißt Ostap Slyvynsky, ist Anfang vierzig und lehrt an vier Hochschulen, zwei in Lemberg, zwei in Polen, doch an den polnischen nur online. Und über fehlende Wut spricht er, weil er ein „Wörterbuch des Krieges“ führt, in dem bis jetzt nur weiche Worte stehen: Freiheit und Liebe, Sonne und Gesang. Kein Hass und keine Wut. Warum?