Afrikanische Kunst :
Taktgefühl war nun mal nicht Picassos Stärke

Von Andreas Eckert
Lesezeit: 4 Min.
Entstanden in königlichem Auftrag an die Gilde der Elfenbeinschnitzer in Benin während des 18. Jahrhunderts und 1897 geplündert: Deckelgefäß in Form eines Antilopenkopfes
Von traditionellen Steinschnitzern bis zu aktuellen Restitutionskampagnen: Peter Probst legt eine Geschichte der afrikanischen Kunst vor. Darin geht es ihm in erster Linie nicht um ästhetische Urteile, sondern um soziale Fragen.

Mitte der Fünfzigerjahre lernte der aus Guyana stammende Künstler Aubrey Williams, ein führender Vertreter der Afromoderne und des schwarzen Abstraktionismus, bei einem Besuch in Paris dank der Vermittlung durch Albert Camus Pablo Picasso kennen. Angesichts von Williams’ Verbindung zu verschiedenen Gruppierungen des Kubismus und seines Versuchs, dessen Stil nachzuahmen, um die hybriden Kulturen seiner Heimat zu erfassen, sollte die Begegnung mit dem großen Künstler ein Höhepunkt seiner Karriere werden, vielleicht ein Katalysator für neue Wege in der gestörten Beziehung zwischen Künstlern afrikanischer Abstammung und der internationalen Avantgarde.

Das Treffen mit Picasso erwies sich für Williams jedoch als höchst ernüchternd: „Aber das Entscheidende ist“, erinnerte er sich später, „dass ich Picasso nicht mochte. Er war einfach ein gewöhnlicher, älterer Mann. Ich erinnere mich an die erste Bemerkung, die er machte, als wir uns trafen. Er sagte, ich hätte einen sehr schönen afrikanischen Kopf und er würde mich gerne für ihn posieren lassen. Ich fühlte mich schrecklich. Obwohl ich ihm als Künstler vorgestellt wurde, betrachtete er mich nicht als einen anderen Künstler. Er sah mich lediglich als etwas an, das er für seine eigene Arbeit benutzen konnte.“ Williams war bitter enttäuscht, dass er Picasso als Objekt oder Subjekt der Kunst ansprach, nicht als Künstler, nicht als Körper, nicht einmal als menschliches Subjekt.

Wie Simon Gikandi vor nunmehr zwei Dekaden in einem Aufsatz hervorhob, entstand diese Enttäuschung wahrscheinlich, weil Williams – wie auch viele Kunsthistoriker im zwanzigsten Jahrhundert – angenommen hatte, dass Picasso einen gewissen Respekt vor den Kulturen und Körpern haben musste, die die Moderne ermöglicht hatten. Schließlich war er eine herausragende Figur des Primitivismus, jener Strömung, in der der Andere, oft Schwarze, zum Katalysator für die moderne Kunst wurde.

Die vermeintlich zerstörerische Kraft der Verwestlichung

Picassos Faszination für den „feinen afrikanischen Kopf“ spiegelte nicht einfach die Abgestumpftheit eines „älteren“ Künstlers wider; im Gegenteil, seine Beziehung zu Afrika oder seine Investition in eine bestimmte Vorstellung von Afrika, die sich von seiner frühen Karriere bis zu seiner kubistischen Hochphase zeigt, war ein akribischer Versuch, die Kunst des Afrikaners von seinem Körper zu trennen, gleichsam jene Elemente der Kunstform zu abstrahieren, die ihm in den entscheidenden Momenten seiner Auseinandersetzung mit den etablierten Konventionen der westlichen Kunst dienten.

Peter Probst: „Was ist afrikanische Kunst?“ Eine kurze Geschichte.
Peter Probst: „Was ist afrikanische Kunst?“ Eine kurze Geschichte.Konstanz University Press

Die beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten dann jedoch, was Peter Probst in seiner vorzüglichen Einführung in die Geschichte der afrikanischen Kunst die „Entdeckung des afrikanischen Künstlers“ nennt. Der an der Bostoner Tufts University lehrende Ethnologe und Kunsthistoriker zeichnet differenziert und materialreich nach, wie sich in diesem Zeitraum das Zentrum der Forschung zur afrikanischen Kunst von Europa in die Vereinigten Staaten verlagerte.

Damit einher ging zunächst eine neue Wertschätzung des durch die vermeintlich zerstörerische Kraft der Verwestlichung zunehmend im Rückzug begriffenen „echten“ afrikanischen Künstlers, den der Ethnologe und Kurator William B. Fagg definierte als „den traditionellen Holz-, Elfenbein- und Steinschnitzer, den Metallgießer oder den Töpfer, den Künstler, der im Rahmen des tribalen Systems für die Angehörigen seines eigenen Stammes arbeitet und die religiösen und künstlerischen Werte seiner Gemeinschaft zum Ausdruck bringt“. Zeitgenössischen modernen afrikanischen Künstlern sprach Fagg hingegen die „Echtheit“ ab, da sie vorwiegend an internationalen Akademien ausgebildet seien und ihre Kundschaft fast ausschließlich aus Nichtafrikanern bestehe.

Die Zelebrierung des „Traditionellen“ und „Authentischen“ machte jedoch bald Platz für Debatten über die Rolle von Kunst und einzelnen Künstlern im Prozess der nachkolonialen Staatenbildung in Afrika. Ein zentrales Ereignis in diesem Zusammenhang war das 1966 maßgeblich von dem Begründer der Négritude und damaligen senegalesischen Präsidenten Léopold Sédar Sen­ghor mitangestoßene Premier Festival mondial des arts nègres in Dakar. Programmatisch als ein globales und diasporisches Festival konzipiert, bot es, wie Probst darlegt, nicht nur der zeitgenössischen afrikanischen Kunst ein prominentes Forum. Ebenso wurden die „schwarzen Künste“ als ein transkontinentales Feld entworfen. Ein weiteres instruktives Kapitel des Buches zeigt, wie sich in den Vereinigten Staaten im Kontext der Bürgerrechts- und Black-Power-Bewegung eine neue Generation von Künstlern und Wissenschaftlern auf panafrikanische künstlerische Traditionen berief und sie zum Ausdruck von politischem Widerstand zu machen suchte.

Der Schwerpunkt liegt auf dem „Globalen Norden“

Die gegenwärtige Gemengelage, wie sie der Autor skizziert, ist unübersichtlich. Eine „dekoloniale Kritik“ zielt auf eine grundsätzlich andere Form und Struktur der Wissensproduktion. Die „indigene“ und „traditionelle“ Kunst hat zwar weiter ihr Publikum, ihre privilegierte Stellung jedoch an die moderne und zeitgenössische Kunst abgeben müssen. Große Auktionshäuser wie Christie’s und Sotheby’s unterhalten Abteilungen für „Global Africa“. Derweil ist Restitution, in der nordatlantischen Welt lange Zeit ein Anathema, zu einer Realität geworden „und mit ihr die Debatte über die Aussichten und Möglichkeiten der ‚Resozialisierung‘ restituierter Objekte an ihrem ursprünglichen Ort“. Das Sprechen von „afrikanischer Kunst“, so lautet das Fazit, ist weiterhin von struktureller Asymmetrie geprägt, die nun allerdings mit Wucht herausgefordert wird.

Probst formuliert eine Reihe wichtiger Einschränkungen seiner Studie. So ist er weniger an den „lokalen“ oder „afri­kanischen“ Bedeutungen und ästhetischen Qualitäten von (Kunst-)Objekten interessiert, sondern versteht diese primär als soziale Objekte. Entsprechend liegt der Schwerpunkt seiner Darstellung auf dem „Globalen Norden“, weiterhin, so der Autor, der wichtigste Standort für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit afrikanischer Kunst, selbst wenn sich dies gerade zu ändern scheint.

Ins Zentrum rückt die Frage, „auf welche Weise die als ‚afrikanische Kunst‘ bezeichneten Werke in jenen historischen Prozessen und sozialen Interaktionen erscheinen, die das Feld der ­afrikanischen Kunstgeschichte konstituieren“. Auf dieser Grundlage führt der Autor souverän, methodisch reflektiert und auch für Nichteingeweihte zugänglich durch ein Labyrinth von Themen und Personen und spannt einen weiten Bogen vom Prozess des „Sammelns“ und den Gründungen ethnologischer Museen im neunzehnten Jahrhundert bis zu aktuellen Restitutionskampagnen. Ein dringend überfälliger Wegweiser für eine hierzulande noch immer randständige Teildisziplin.

Peter Probst: „Was ist afrikanische Kunst?“ Eine kurze Geschichte. Aus dem Englischen von Uwe Hebekus. Konstanz University Press, Göttingen 2024. 337 S., Abb., geb., 34,– €.
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