Jenny Erpenbecks „Kairos“ : Das Gefühl unters Mikroskop legen

Vom vergeblichen Festhalten: Jenny Erpenbecks „Kairos“ erzählt von einer folgenreichen Liaison in der untergehenden DDR.
Auf der Schwelle vor der Wohnung wartet Katharina auf Hans. Es ist schon nach Mitternacht, aber den Schlüssel hat er, nur er, und weil es 1986 ist und kein Telefon zur Hand, macht sie sich wartend Gedanken über ihren Platz in seinem Leben und in der Welt. Er sitzt in der Bar. Er will nicht nach Hause, will trinken, um zu vergessen, denkt, er wäre in dieser Nacht allein. Ohne sie ist die Wohnung wertlos und er in dieser Welt verloren. Sie wartet Stunden, dann kommt er betrunken die Treppe herauf. Versöhnung. Am nächsten Tag scheint alles vergessen. Die Mitte des Romans ist beinah erreicht, und im nächtlichen Aneinandervorbeisitzen der beiden hat sich, zunächst als kleiner Riss, der Abgrund angedeutet.