Dänisches Nationalorchester : Wo der Rundfunk seinen Kulturauftrag ernst nimmt
Was die Besonderheit dieses Orchesters sei und ob es so etwas wie einen „nordischen“ Klang gebe, wird Tatjana Kandel beim Jubiläumsempfang in der Dänischen Botschaft in Berlin gefragt. Kandel verantwortet die künstlerische Planung des Dänischen Nationalen Symphonieorchesters (DNSO) und bleibt bei der Beantwortung der Frage vorsichtig. Zwei Traditionslinien nennt sie, die das Orchester geprägt hätten: eine deutsche, die sich aus der intensiven Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Fritz Busch während der 1930er Jahre ergeben habe, und eine russische, ausgehend von Nikolai Malko, der dem Orchester ein Vierteljahrhundert als ständiger Gastdirigent verbunden war. Ansonsten verweist Tatjana Kandel auf das Konzert am Abend: Der Hörer solle sich am besten selbst einen Eindruck machen.
Abends in der Philharmonie ist ein Klangkörper zu erleben mit Streichern, die satten Ton mit schlanker Beweglichkeit verbinden, die Holzbläser zeigen Kraft und Intensität, die Blechbläser strahlende Wärme. Die Agilität dieses Orchesters ist bemerkenswert, der Chefdirigent Fabio Luisi (er leitet das Ensemble seit acht Jahren) macht von ihr regen Gebrauch.
Wenige Orchesterleiter, die so frei mit dem Tempo umgehen wie Luisi: Ein starres Zeitmaß gibt es bei ihm nicht, als später Nachfahre einer vormodernen Tradition bremst oder beschleunigt er den Fluss. Besonders in Sergej Rachmaninows zweitem Klavierkonzert mit Khatia Buniatishvili als Solistin zeichnet er die Wellenbewegung der Musik, ihr An- und Abschwellen, mit großem Einfühlungsvermögen nach. Die Musiker folgen wach und kredenzen ihren süffigsten Klang. Die Partnerschaft mit Luisi scheint eine sehr glückliche, nahezu neckische zu sein. Zum zweiten Teil des Konzerts mit Gustav Mahlers erster Symphonie begrüßt nicht nur das Publikum den Dirigenten mit Applaus, sondern auch das Orchester. Und als am Ende der Beifall auch der Musiker kein Ende finden will und sie Luisi ein ums andere Mal allein vors Publikum drängen wollen, da droht der mittlerweile im deutschsprachigen Raum heimisch gewordene Italiener schelmisch mit dem Finger: Schlingel, ihr!
Hundert Jahre alt wird das DNSO, 1925 wurde das Ensemble als Rundfunkorchester für den frisch gegründeten Dänischen Rundfunk ins Leben gerufen. Emil Holm (1867 bis 1950), der als Sänger unter anderem an den Hofopern in Dresden und Stuttgart tätig gewesen war, brachte auch seine Erfahrungen aus Deutschland bei der Aufstellung des neuen Klangkörpers ein. Dass die Jubiläumstournee nun vor allem durch Deutschland führt, soll auch die enge Verbindung zum Kulturleben des südlichen Nachbarlandes in Erinnerung bringen. Nach dem Auftakt in Berlin folgt, heute Abend, ein Auftritt in Stuttgart (wo Emil Holm einst zum „Kammersänger“ ernannt wurde), Konzerte in Essen, Hamburg und München schließen sich an.
Den Dank für die Inspiration aus dem deutschsprachigen Raum verbindet das Orchester derweil mit einer Präsentation eigener, dänischer Musik. Im Wechsel mit Mahler steht Carl Nielsens vierte Symphonie auf dem Tournee-Programm. Mit mehreren Gesamtaufnahmen von Nielsens Symphonien hat sich das DNSO einen Namen gemacht als führendes Ensemble für diese hierzulande nach wie vor nur selten zu hörende Musik. Erst vor zwei Jahren erschien die jüngste Gesamteinspielung, diesmal mit Fabio Luisi, herausgebracht von der Deutschen Grammophon. Das Label setzt die Zusammenarbeit in dieser Konstellation fort, derzeit arbeitet man gemeinsam an einer Gesamtaufnahme der Orchesterwerke von Arnold Schönberg.
Als Radioorchester gehört nicht zuletzt die zeitgenössische Musik zum Aufgabenbereich. Gleichsam stellvertretend für eine reiche Komponisten-Landschaft mit Künstlern wie Per Nørgård oder Hans Abrahamsen präsentiert das Tournee-Programm das Orchesterwerk „Evening Land“ von Bent Sørensen. Tonale Klänge verschwimmen darin ins Nebelhafte, changieren in der Farbgebung und behalten dabei doch immer ihre Strahlkraft. Eine starke Melancholie, ja Traurigkeit spricht aus dieser Musik, den Hörer fasst sie ganz direkt, im Innersten. Die Kraft der Inspiration: Hier könnte sie in umgekehrter Richtung wirken – von Dänemark nach Deutschland.