FAZ+Salzburger Festspiele :
Iphigenie wird missbraucht

Lesezeit: 4 Min.
Auch das doppelte Iphigenchen wird uns nicht erspart: Rosa und Oda Thormeyer, im echten Leben Tochter und Mutter, als zwei Seiten einer billigen Adaptionsmedaille
Triviale Therapiesitzung: Ein Schauspielabend „frei nach Euripides/Goethe“ gerät zum vollkommenen Fiasko und zeigt das dekonstruktionsbesessene Gegenwartstheater abermals von seiner schlechtesten Seite.
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Iphigenia, gerade einundzwanzig ge­worden, will Starpianistin werden. Drunter macht sie es nicht. Aber hey: In der Familie wird ihr bescheinigt, nicht nur attraktiv, sondern auch hochbegabt auszusehen. Die Mutter Klytaimnestra ist natürlich eine überspannte Starschauspielerin, die es ge­lernt hat, ihr Leid in Rollen zu packen: Alles ist schließlich Material und also wiederverwendbar. Der Vater Agamemnon, ein Starwissenschaftler, trägt schwarz und zeigt sich ansonsten wendig. Ethik und Moral sind sein Geschäft. Soeben hat er sein neuestes Werk veröffentlicht, ein MeToo-Buch und Seelenschau von Tätern und Opfern – beiderseits gehe das Verbrechen mit Sinnverlust einher, so seine These, die er mit allerhand Bibelwissen und Kierkegaard unterfüttert. Garantiert wird das ein Bestseller, glaubt die Familie, wäre da nur nicht der Missbrauch an der eigenen Tochter Iphigenia. Die will ausgerechnet jetzt publik machen, dass der Onkel Menelaos sich jahrelang an ihr verging. Agamemnons Ethikkarriere wäre erledigt und sein Buch gleich mit. Natürlich hatte er sich damit unbewusst das eigene Familiendrama von der Seele schreiben wollen.

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