Carl Andre ist gestorben :
Ontologe der Plastik

Von Raimund Stecker
Lesezeit: 2 Min.
Carl Andre 1978 in der Whitechapel Gallery in London
Bei ihm wurde der Ausstellungsbesucher zur Säule: Der amerikanische Künstler Carl Andre ist tot

„Wo ist denn die Ausstellung?“ Diese Frage wurde dem Galeristen Konrad Fischer anlässlich seiner ersten Eröffnung gestellt. Der Galerieboden war mit „5x20“ quadratischen Stahlplatten ausgelegt. „Du stehst drauf“, lautete die Antwort. Eigentlich wollte der „Kapitalistische Realist“, der zuvor mit Gerhard Richter, Sigmar Polke und Manfred Kuttner die Kunstszene um Düsseldorf aufgemischt hatte, seine Galeristenkarriere mit einer Ausstellung Bruce Naumans starten. Doch die Transportkosten waren zu hoch. So empfahl ihm sein Freund in den USA, Kasper König, mit Carl Andre zu starten. Dieser mache entsprechend des Grundrisses der Galerie eine Konzeptzeichnung. Dann werden vor Ort Stahlplatten besorgt, diese auf den Boden gelegt und fertig ist die Ausstellung.

Das war 1967. Die mit der technischen Ausführung beauftragte Firma fand auf der Einladungskarteprominent Erwähnung: Stahlbau Hanfland. Dem romantischen Künstlerbild, das im Elfenbeinturm unentfremdet Arbeitende zeigt, wurde die Absage erteilt, dem Geistigen in der Kunst das Primat zugewiesen. Die Klappkarte offenbart diese behauptete Tiefe. Der 1935 in Neuengland geborene Andre, der 1958 begonnen hatte, „Skulpturen zu machen“, titelte „Ontologische Plastik“ für seine erste Ausstellung außerhalb der USA. Die Skulptur wurde unter die Füße der Besucher gelegt und so auch geistig auf ihre Füße gestellt. Seither sind solche Auslegungen in nahezu allen Museen und Sammlungen vorzufinden, die für sich Fortschrittlichkeit beanspruchen. Der Dialog mit Werken aus Bildhauerstudios war erweitert. Nicht mehr nur sehend sollten diese erfahren werden, sondern auch gehend, interaktiv. Die Plattenformate geben das Schrittmaß vor. Jeder Besucher wird zur Bildsäule auf der Plinte. Aktbezogene Realität verdräng künstlerische Illusion.

Die Geburtsstunde konzeptueller Kunstbehauptungen war geadelt. Die Krönungsfeier dieser Denkungsart fand zwei Jahre später in der Berner Kunsthalle statt. „When Attitudes Become Form“ war die Losung Harald Szeemanns. Hofiert wird seither, was auch bekämpft wird: der Verlust an Sinnlichkeit zugunsten von zumeist fatalistisch einfachen Formfindungen für dünner werdende Gedanken.

Fatalistisch auch reagierte Künstlerkollege Donald Judd auf die nicht nur getuschelte Behauptung, der Fenstersturz von Andres Ehefrau, der Performance-Künstlerin Ana Mendieta, im Jahre 1985 sei von dem Bildhauer mitverursacht worden. Judd stellte ins Schaufenster seines nahe des Unfallortes gelegenen Studios Ziegelsteine übereinander. Die Formation brachte also die stabil horizontale Kunst Andres in die fragile Vertikale. Sie sollte aber auch als Menetekel fungieren: bleiben die Ziegel übereinander, so ist Carl Andre unschuldig. Sie blieben übereinander. Am 24. Januar ist Carl Andre gestorben.

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