Staatskunstakt : Feierstunde zu Ehren Jörg Immendorffs
Lange wohl ist nicht mehr derart staatstragend und graubetucht Abschied genommen worden von einem deutschen Maler wie in der Feierstunde für den verstorbenen Jörg Immendorff. Freunde und Weggefährten hatten sich am Donnerstagnachmittag hoch oben in den ehrfurchtgebietenden Hallen der Alten Nationalgalerie, im einstigen Corneliussaal, versammelt. Noch einmal verneigten sie sich vor dem „großen deutschen Bildsetzer“, wie der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Peter-Klaus Schuster, Immendorff gewohnt grandios bezeichnete, und es hätte sich für die Zeremonie kaum ein pathetischerer Ort finden lassen als der antikisierende Tempel, in dessen Giebelfeld die Inschrift „Der Deutschen Kunst“ prangt. Dieser Abschied, kein Zweifel, war auch ein Einzug. Wenn nicht in die Unsterblichkeit, so doch wenigstens ins Pantheon der Kunstnation.
Beinahe mehr Regierungschefs, Staatssekretäre und andere Politiker waren herbeigeeilt als Künstler und Galeristen. Gerhard Schröder natürlich, der seinen „Malerfreund“ und Porträtisten Jörg noch einmal als herausragenden „Botschafter unseres Landes“ und lebensfrohen Zeitdiagnostiker würdigte, der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Rüttgers, Berlins Kulturstaatssekretär Schmitz, und es war in all dem Gewoge von Zelebritäten und Amtsträgern ausgerechnet Kulturstaatsminister Neumann, der in seiner kurzen Ansprache an das Bemerkenswerte des Umstands erinnerte, dass Immendorff, einst bekennender Maoist und KPD-Anhänger, nun in Berlin einen solchen halbstaatlichen Akt ausgerichtet bekam.
Als die letzten Takte von Strawinskys „Lullaby“ aus seiner Oper „The Rake’s Progress“ verklungen waren, wurden eigens die Flügeltüren zur gewaltigen Freitreppe der Nationalgalerie geöffnet, auch das eine seltene Geste, und hinaus strömten die schwarzgewandeten Gäste, Veronica Ferres darunter, der Fotograf Jim Rakete, der Künstler Jonathan Meese, den Immendorff in einem seiner letzten Interviews mit der Zeitschrift „Monopol“ als seinen legitimen Nachfolger erkoren hatte. Und Markus Lüpertz natürlich, der Immendorff in einer lauten, langen, poetisch rätselhaften Rede hinterhergerufen hatte: „Mein Universum verliert ein Licht.“
Zurück blieb im leeren Saal nur „Das Bild ruft“, ein Geschenk von Immendorffs Witwe Oda Jaune an die Nationalgalerie, ein Dank der Familie für die große Immendorff-Retrospektive im vergangenen Jahr, und eines der letzten Gemälde des Künstlers, schon von seinen Schülern ausgeführt, ein Selbstporträt von tiefer Melancholie. Das Gesicht wie gemeißelt, totenbleich, nur ein flackerndes Rot auf Wangen und Lippen. Ein würdiges Pendant zu Böcklins „Selbstbildnis mit fiedelndem Tod“, das just vis-à-vis an der gegenüberliegenden Wand hing.