Vorwürfe gegen Museum : Hat die Neue Nationalgalerie Nan Goldin zensiert?
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Ihre Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, sagt Nan Goldin, sei zensiert worden. Das Museum habe ein Dia aus ihrer Fotoserie „The Ballad of Sexual Dependency“ entfernt, auf dem sie ihre Solidarität mit den Menschen in Gaza, im Westjordanland und im Libanon erkläre – „und mit den israelischen Zivilisten, die am 7. Oktober getötet wurden“. So steht es in einem Interview, das die „Frankfurter Rundschau“ veröffentlicht hat.
Die Neue Nationalgalerie stellt den Vorgang anders dar. Seine Mitarbeiter, gibt deren Direktor Klaus Biesenbach bekannt, habe ein Dia entdeckt, das ohne Rücksprache mit dem Museum in die berühmte Serie eingefügt worden war. Der Text sei allerdings ein anderer gewesen als von Nan Goldin behauptet: „Die israelischen Zivilisten wurden dort nicht erwähnt.“ Man habe mit Goldins Studio über die „sensiblen Inhalte“ gesprochen. Daraufhin habe das Studio das Foto von sich aus entfernt.
Keine künstlerische Intervention, sondern Agitation
Wer hat recht? In der Rede, die Nan Goldin am vergangenen Freitag zur Ausstellungseröffnung gehalten hat, kommt Israel vor allem als Aggressor und Verursacher eines Völkermords im Gazastreifen vor, die Opfer des Massakers der Hamas am 7. Oktober werden nur kurz erwähnt. Nun ist es das Recht von Künstlern, ihre Meinungen vorzutragen, auch wenn sie sachlich falsch und unmoralisch sind. Aber wenn das Dia, das Goldin in die „Ballade der sexuellen Abhängigkeit“ eingefügt hatte, wirklich so aussah, wie Biesenbach behauptet, ist es keine künstlerische Intervention, sondern ein Stück Agitation.
Diese Agitation hat Goldin in ihrer Eröffnungsrede betrieben, in der Ausstellung, die ihr Lebenswerk würdigt, hatte sie nichts zu suchen. Dass das Dia auf den vorigen Stationen der Schau in Stockholm und Amsterdam nicht zu sehen war, kommt hinzu; aber in Deutschland, wo „so viele Künstler:innen und Schriftsteller:innen wegen Palästina gecancelt worden sind“ (Goldin), wollte sie es zeigen. Nachdem das Museum dagegen Einspruch erhob, hätte sie die Ausstellung oder mindestens ihren Auftritt in Berlin absagen können. Sie war klug genug, das nicht zu tun. Und sie ist unklug genug, der Nationalgalerie nachträglich vorzuwerfen, sie habe „keinen Hinweis auf meine Politik“ in ihrer Präsentation zugelassen.
So wird die Cancel-Karte immer wieder hervorgezogen, wenn der antiisraelische Aktivismus irgendeinen Widerspruch erfährt. Vielleicht sollte jemand Nan Goldin erklären, dass die Privatmeinung einer berühmten Künstlerin noch keine Politik ist und der „Raum für Trauer“, den sie einfordert, allen Opfern des Nahostkonflikts gebührt. Und dass die angeblich gecancelten Kulturschaffenden auf dem Symposion, das am Sonntag aus Anlass der Ausstellung stattfand, die Chance gehabt hätten, ihre Standpunkte vorzutragen, dies aber nicht wollten. Aber wenn man Goldins Aussagen in dem Interview richtig liest, hört sie anderen schon lange nicht mehr zu.