Boris Johnson als Othello : Toxisch

Der wankende britische Premierminister soll sich selbst als Shakespeares Othello beschrieben haben. Was sagt so eine Selbstbeschreibung über seinen Charakter aus?
Dreizehn Jahre bevor Boris Johnson in Downing Street Einzug hielt, erläuterte er mit der von ihm verfeinerten Kunst der witzelnden Selbsterniedrigung eine „geniale neue Strategie“, die er entwickelt habe, um sich die Presse vom Leib zu halten. Sie bestehe darin, so viele Fauxpas zu begehen, dass sie nicht mehr berichtenswert seien. Ziel sei es, sagte Johnson damals, die Medien taktisch zu übertreffen, ihre Stellungen mit Patzern zu beschießen, sie zu verwirren, damit man dann ungehindert seine Wasserbomben abwerfen könne.
Womöglich hat Johnson nun auf diese Ablenkungstaktik zurückgegriffen, als er, um die Gunst seiner Abgeordneten buhlend, versprach, die „ganze toxische Kotze“ aus Downing Street zu entfernen. Im Zuge seines momentan laufenden Beschwichtigungsmanövers soll er sich jetzt auch noch mit Shakespeares tragischem Helden Othello verglichen haben. Damit wies der Premierminister seinem ehemaligen Consigliere Dominic Cummings die Rolle des hasserfüllten Fähnrichs Iago zu, der seinen Feldherrn in den Ruin treibt. Diese Besetzung liegt auf der Hand. Cummings macht schließlich keinen Hehl aus seiner Absicht, den Premierminister zu stürzen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein Politiker, der zweifelnde Anhänger von seiner Führungsqualität überzeugen will, gut beraten ist, sich als leichtes Opfer böser Machenschaften darzustellen.
Immerhin ist es Johnson gelungen, Othello in die Twitter-Trends zu bringen, wobei die meisten Kommentatoren frotzelten, ob der Premierminister das Stück wirklich zu Ende gelesen habe. Seine Frau, der Kritiker unter anderem den Beinamen „Carrie Antoinette“ verliehen haben, wird eher als ränkesüchtige Lady Macbeth verteufelt, denn als unschuldige Desdemona gesehen. Gnadenlose Kommentatoren verwiesen, angestachelt von Johnsons Selbststilisierung, auf weniger vorteilhafte Shakespeare-Figuren, etwa auf Falstaff und Tobias Rülps oder auf Cymbelines unbeherrschten Stiefsohn Cloten. Refrainartig wurde auch Cassios Klage über den Verlust seines guten Namens angeführt: „Ich habe das unsterbliche Teil von mir selbst verloren, und was übrig bleibt, ist tierisch.“
Der Dramatiker Mike Bartlett hat sich unterdessen der shakespeareschen Form für ein Stück über Donald Trumps geplante Kandidatur in der nächsten Präsidentenwahl bedient. Dabei geht Bartlett unter anderem der Frage nach, worin die Faszination des Politikers liege und ob der Teufel die besten Melodien habe. Sollte Bartlett das shakespearsche Modell eines Tages auch auf Boris Johnson anwenden, wird er sich zwischen Tragödie und Posse entscheiden müssen.