Wittekindshof : Anklagen nach schwerer Misshandlung von behinderten Heimbewohnern

Einsperren von Behinderten, ohne rechtliche Grundlage: Seit 2019 wird gegen Mitarbeiter des Wittekindshofs in Bad Oeynhausen ermittelt. Nun wurden vier von ihnen wegen teils schwerer Straftaten angeklagt.
Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat Anklage gegen vier leitende Mitarbeiter der diakonischen Behinderteneinrichtung Wittekindshof in Bad Oeynhausen erhoben. Die Beschuldigten – zwei Männer und zwei Frauen – sollen im Umgang mit 18 geistig Behinderten teilweise schwere Straftaten wie Freiheitsentzug und Körperverletzung begangen haben.
Ein 58 Jahre alter Diakon soll in seiner Funktion als Leiter einer Abteilung der heilpädagogischen Einrichtung für 210 Fälle von Freiheitsentzug, darunter 18 schwere Fälle, verantwortlich sein. Nach Erkenntnissen der Ermittler ordnete der Diakon in zahllosen Fällen das Einsperren von Behinderten an, obwohl dafür jegliche rechtliche Grundlage gefehlt habe. Die Anklage wirft dem Diakon zudem gefährliche Körperverletzung in zehn Fällen vor, weil er laut der schriftlichen Pflegedokumentation des Wittekindshofs den Einsatz von Tränengas anordnete.
Die 55 Jahre alte Stellvertreterin des Diakons wird wegen Freiheitsberaubung in 125 Fällen durch Unterlassen und neun Fällen von gefährlicher Körperverletzung durch Tränengas wegen Unterlassung angeklagt, weil sie nicht gegen ihren Vorgesetzten einschritt. Die Bereichsleiterin der heilpädagogischen Intensivbetreuung des Wittekindshofs soll sich nach dem Willen der Anklage vor Gericht verantworten, weil sie 76 Mal den Freiheitsentzug und drei Mal die Verwendung von Tränengas angeordnet haben soll.
Eingesperrt auf neun Quadratmetern
Nicht nur wegen dutzendfachen Freiheitsentzugs durch Unterlassen angeklagt ist ein 69 Jahre alter Psychiater. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft zudem illegale Medikamentengabe vor. Er soll einem sexuell übergriffigen Bewohner insgesamt 29 Depotspritzen des Mittels Salvacyl verabreicht haben, obwohl weder der Patient aufgeklärt worden sei noch ein richterlicher Beschluss dafür vorgelegen habe. Mit Hilfe des Medikaments wird der Testosteronspiegel im Körper reduziert. Die sogenannte chemische Kastration soll bei dem Betroffenen jedoch Osteoporose und Depressionen hervorgerufen haben.
Die Ermittlungen kamen durch die Strafanzeige der Schwester und gesetzlichen Betreuerin eines ehemaligen Wittekindshof-Bewohners in Gang. Ihr Bruder soll über mehrere Monate hinweg ohne Freigang in seinem neun Quadratmeter großen Zimmer eingesperrt und mit Medikamenten stillgestellt worden sein.