Mann an Grenze erschossen : Zwölf Jahre Haft für früheren Stasi-Mitarbeiter gefordert

Hinterrücks wurde 1974 ein Mann am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße erschossen. Erst 50 Jahre später kommt es zum Prozess gegen einen Ex-Stasi-Mitarbeiter. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm heimtückischen Mord vor.
Der ehemalige Stasimitarbeiter Manfred N., der angeklagt ist, vor 50 Jahren am damaligen Berliner Grenzübergang Friedrichstraße einen Polen erschossen zu haben, soll laut Forderung der Staatsanwaltschaft für zwölf Jahre ins Gefängnis. Der 80 Jahre alte N., der heute in Leipzig lebt, habe sich des heimtückischen Mordes an Czeslaw Kukuczka schuldig gemacht, hieß es am Montag im Plädoyer der Staatsanwältin Henrike Hillmann.
Kukuczka hatte am 29. März 1974 versucht, mit einer Bombenattrappe seine Ausreise in den Westen zu erzwingen. Im sogenannten Tränenpalast traf den 38 Jahre alten Polen dann ein Schuss in den Rücken. Noch am selben Tag erlag er in einem Ostberliner Krankenhaus seinen Verletzungen. Im März 2024 begann am Berliner Landgericht der Prozess gegen N.
Verteidigung fordert Freispruch
Die Verteidigerin Andrea Liebscher hingegen forderte für ihren Mandanten einen Freispruch. Dafür, dass N. der Schütze gewesen sei, gebe es keinen Beleg außer der Erwähnung seines Namens in Stasiakten, die überdies nachweislich geändert worden seien. Auch sei das Mordmerkmal der Heimtücke in diesem Fall nicht erfüllt, da das Opfer noch auf DDR-Staatsgebiet war, sich somit noch in Gefahr gewähnt haben müsse und nicht arglos gewesen sein könne. Es habe sich daher um einen Totschlag gehandelt.
Beim geforderten Strafmaß spielt das zum Tatzeitpunkt geltende Strafrecht eine Rolle, hier also dasjenige der DDR, das bei Mord eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bis zu lebenslänglich vorsah. Dass heute ein anderes Rechtssystem gilt, wirkt sich auf das Strafmaß aus. Bei den geforderten zwölf Jahren Haft handelt es sich laut dem Gericht um das mildeste Strafmaß.
Hinterbliebene „allein an Schuldfeststellung interessiert“
Die Hinterbliebenen Kukuczkas, dessen drei Kinder und eine Schwester, haben den Prozess nicht persönlich verfolgt, aber sich als Nebenkläger von Anwälten vertreten lassen. Jene forderten am Montag wie die Staatsanwaltschaft, den Angeklagten wegen Mordes zu verurteilen, verzichteten aber darauf, sich zum Strafmaß zu äußern. Laut dem ehemaligen Bundesanwalt Hans-Jürgen Förster, der Kukuczkas Tochter vertritt, sei diese „allein an der Schuldfeststellung durch ein demokratisch legitimiertes Gericht interessiert, nicht an Strafausspruch oder gar -vollstreckung“.
Der Angeklagte Manfred N., der im Prozess nicht ausgesagt hatte, erklärte am Montag nur, keine weiteren Angaben machen zu wollen. Am kommenden Montag wird das Urteil erwartet.