Das neue Linz :
Heißhunger auf verbotene Früchte

Von Volker Mehnert
Lesezeit: 9 Min.
Kunstinstallation mit  pädagogischem Anspruch:  In der „Stahlwelt“ wird den Besuchern mithilfe  Dutzender spiegelnder  Kugeln der Werkstoff, der Linz einst groß gemacht hat, in allen Facetten erklärt.
Die oberösterreichische Stadt Linz will sich etwas trauen: „Veränderung und Erlebnis“ heißt die Devise bei Kunst, Kultur und Tourismus – und das funktioniert verblüffend gut.
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Diese Stadt überrascht und provoziert immerzu. Selbst wenn man sich ihr auf hergebrachte Art nähert und den neugotischen Mariendom aus dem neunzehnten Jahrhundert besichtigt, bringt Linz den Besucher sofort aus dem touristischen Trott. Pfarrer und Bischof haben dort längst erkannt, dass Österreichs flächenmäßig größte Kirche in heutiger Zeit für religiöse Riten und das Feiern der Messe völlig überdimensioniert ist. Deshalb wurde ein moderner Altar aus weißem Stein in der Vierung platziert, näher an die Gläubigen heran. Gleich daneben und mitten im Zentrum des Geschehens lässt sich eine bewegliche Bodenplatte um einige Meter nach oben ausfahren, sodass eine Bühne entsteht, auf der Orchester und Musikgruppen für ein weltliches Publikum musizieren können. Hier haben sogar schon Technokonzerte stattgefunden. Regelmäßig dient das Kirchenschiff außerdem als Galerie für Ausstellungen, manchmal für monumentale Installationen. Vor einigen Jahren wurde ein Teil der Kirchenfenster im Kapellenkranz durch moderne Glasmalerei ersetzt. Die Beschreibung der Schöpfung geschieht dabei einmal nicht mit biblischen Motiven, sondern orientiert sich an wissenschaftlichen Beobachtungen von Weltall und Materie sowie an den Resultaten von Forschung und Technologie. Abstrakt dargestellt sind zum Beispiel die Umlaufbahnen der Atomteilchen, Zellformen des menschlichen Körpers oder Platinen aus elektronischen Schaltungen. Unabhängig von der Glaubensrichtung kann man sich als „Eremit im Turm“ in der Türmerstube hoch über der Stadt einmieten. Sie ist wohnlich ausgestattet mit Bett, Stuhl, Tisch, Herd und einer Toilette; das Essen bekommt der Gast aus der bischöflichen Küche geliefert.

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