Bombenentschärfung : In der Nachkriegszeit
Die Frankfurter haben inzwischen eine Routine mit Bombenentschärfungen entwickelt; seit so viel gebaut wird, werden mehrfach im Jahr Blindgänger gefunden, größere, kleinere, aber die Aufregung hält sich in Grenzen. Es ist nur eine Unterbrechung des Gewohnten, freundlicherweise auf den Sonntag gelegt, an dem sich die Eingriffe in den Alltag in Grenzen halten.
Und doch sind Bombenentschärfungen überhaupt nichts Normales. In schroffer und trotz aller zur Schau getragenen Gelassenheit brandgefährlicher Weise ruft sich eine Zeit in Erinnerung, die immer weiter zurückliegt und die doch eine Vergangenheit ist, die nicht vergeht. „Weltkriegsbombe“ heißt es knapp, wenn von den Entschärfungen die Rede ist, aber wer nur ein bisschen die Frankfurter Geschichte kennt, der weiß, was damit alles aufgerufen wird: dass drei Luftangriffe im Frühjahr 1944 weite Teile der Stadt in Schutt und Asche legten und Tausende Menschenleben kosteten, dass im Jahr darauf der Krieg, den die Deutschen in die Welt getragen hatten, Frankfurt zur Frontstadt werden ließ, dass schließlich die Amerikaner die Stadt besetzten und vom Terror befreiten.
Vernichtung des Stadtbildes
Noch heute bewegen sich die Frankfurter in einer Stadtlandschaft, die vom Krieg und Wiederaufbau geprägt ist oder umgekehrt von dem Willen, gerade diese Epoche zu überwinden wie mit der neuen Altstadt. Der Zweite Weltkrieg war der tiefste Einschnitt seit langem in die Geschichte des alten Ortes am Main, das Entsetzen zuerst über die Vernichtung des Stadtbildes und die eigenen Opfer, dann über die eigene Schuld hat sich nie verflüchtigt, es prägt weiterhin den Diskurs nicht nur der Frankfurter, sondern aller Deutschen in vielfacher Weise. Der Krieg ist vorbei, doch die Nachkriegszeit ist es noch keineswegs, auch wenn die Zeitzeugen weniger werden, auch wenn neue Generationen aufwachsen, die leichtfertig glauben, das sei nur noch ein Kapitel im Geschichtsunterricht über ein verblichenes Jahrhundert. Auf einmal trifft dann wieder ein Bagger auf eine Bombe.
Der unerbetene Gruß aus einer unseligen Zeit trifft diesmal in einer Gesellschaft ein, die bei einer neuen Herausforderung zunehmend an ihre Grenzen zu stoßen scheint – all die Einschränkungen, die ganzen neuen Regeln. Doch es ist kein Zufall, dass viele Betagte am ruhigsten auf die Corona-Pandemie reagieren; sie haben schon anderes erlebt. „Weltkriegsbombe“: Der Fund im Stadtteil Gallus – am Sonntag wie gewohnt routiniert beiseitegeschafft – rückt manches zurecht.