118.000 Euro unterschlagen : Geld aus AWO-Kasse an angebliche Ärztin in Afrika überwiesen
Vor dem Bensheimer Amtsgericht ist der Prozess gegen den früheren Vorsitzenden der örtlichen Arbeiterwohlfahrt (AWO) wegen Unterschlagung nach weniger als einer Stunde unterbrochen worden. Der 78 Jahre alte Beschuldigte soll zunächst auf seine geistige Zurechnungsfähigkeit untersucht werden. Der Mann, der geständig ist und die Unterschlagung von 118.000 Euro vom Konto der Arbeiterwohlfahrt zugibt, glaubt immer noch, das Geld an eine Ärztin der UNO überwiesen zu haben. An die Unbekannte hat er außer dem Geld der Arbeiterwohlfahrt auch bis zu 75.000 Euro aus dem eigenen Vermögen überwiesen. Dass er einer Betrugsmasche aufgesessen ist, will er bis heute nicht wahrhaben.
Der Senior macht vor Gericht zeitweise einen verwirrten Eindruck. Er kann sich an einige Dinge nicht mehr erinnern und will auch auf entsprechende Hinweise der Richterin nicht wahrhaben, dass er betrogen worden sein könnte.
Seit vier Jahren habe er Kontakt zu der mutmaßlichen Ärztin, sagt der Angeklagte vor Gericht. Die Frau stamme aus Norwegen und habe wegen politischer Wirren im Jemen festgesessen. Um von dort freizukommen, habe sie ihn immer wieder um Geld gebeten. Als der Mann seine eigenen Ersparnisse in mehreren Tranchen überwiesen hatte, entwendete er hohe Beträge aus der Kasse der AWO, auf die er als damaliger Vorsitzender Zugriff hatte. Die angebliche Ärztin habe ihm zugesichert, sobald sie aus dem Jemen ausgereist sei, werde er sein Geld von der UNO umgehend zurückerhalten, sagt der Angeklagte.
Privatflugzeug samt Personal chartern
Er glaubte der angeblichen Ärztin und einer angeblichen Tochter, mit der er auch Mailkontakt hatte. Die Frau erhielt angeblich kein Geld mehr von der UNO und hätte auf dem regulären Weg nicht ausreisen können. Um aus dem Jemen zu kommen, müsse sie ein Privatflugzeug samt Personal chartern, sagte sie dem alten Mann. Hohe Summen brauche sie auch für Papiere. Ihre Argumentation sei logisch gewesen, sagt der Angeklagte mit leiser Stimme vor Gericht. Er glaube noch immer, dass sie eine Ärztin und keine Betrügerin sei. Gelegentlich habe er zu ihr noch Kontakt. Er hoffe, bald sein Geld zurückzubekommen, um den Schaden bei der Arbeiterwohlfahrt zu begleichen.
Als in der AWO die Finanzlücke auffiel und der Angeklagte nach dem Geld gefragt wurde, forderte er von der angeblichen Ärztin die Rückzahlung, wie er sagt. Wenn sie nicht zahlen könne, zerstöre sie sein Leben, schrieb er in einer Mail. Persönlichen oder telefonischen Kontakt gab es nie. Die Frau, die sich vor vier Jahren über die Onlineplattform Facebook erstmals an ihn gewandt hatte, kommunizierte nur per Mail.
Die Richterin will wissen, warum dem Angeklagten nicht aufgefallen sei, dass er das Geld auf verschiedene Konten überwiesen habe. Er habe nicht gezweifelt, dass alles korrekt sei: Zwischen August 2022 und Mai 2023 habe er fast täglich Mailkontakt mit der Frau gehabt, sagt er. Zweifel seien ihm nie gekommen.
Auch der Anwalt des Angeklagten äußert Zweifel an der Einsichtsfähigkeit seines Mandanten. Dem Vorschlag des Gerichts, ein psychologisches Gutachten erstellen zu lassen, schließt sich die Staatsanwaltschaft an. Auch der Angeklagte stimmt zu.
Zu dem Prozess sind viele örtliche AWO-Mitglieder gekommen. Der Sozialverband kämpft mit erheblichen Geldnöten, die Konten sind leer. Der Angeklagte bestätigt dem Gericht, keinen Cent mehr zu besitzen. Sollte er zur Rückzahlung des Geldes an die AWO verurteilt werden, müsste er wohl sein Haus in Bensheim verkaufen. Bis das psychiatrische Gutachten vorliegt, werden vermutlich Monate vergehen. Erst dann kann der Prozess fortgesetzt werden.