Drei Tore gegen RB Leipzig :
Aus dem Schatten – aber wie!

Von Roland Zorn
Lesezeit: 4 Min.
Blüht auf wie noch nie: Myron Boadu trifft gegen Leipzig drei Mal.
Wenige Spiele, wenige Tore: Der Bochumer Mittelstürmer Myron Boadu fiel bisher nicht unbedingt positiv aus. Gegen RB Leipzig zeigt er in der Fußball-Bundesliga nun, was in ihm steckt.
Merken
Zur App

Es ist erst ein paar Tage her, dass Dieter Hecking eher auf die Schwächen als auf die Stärken seines niederländischen Angreifers Myron Boadu hinwies. „Ich bin im Moment nicht restlos von ihm überzeugt“, sagte der 60 Jahre alte Trainer des VfL Bochum über den Königstransfer der Westfalen in dieser Saison. Verständlicherweise, hatte der 25 Jahre alte Niederländer ghanaischer Herkunft bisher doch bestenfalls angedeutet, was er günstigenfalls zu bieten hat.

Seine Leihe von der AS Monaco ist mit einer Kaufoption von kolportierten zehn Millionen Euro verbunden. Empfehlen konnte sich der mit 1,81 Metern relativ klein gewachsene Mittelstürmer bisher aber kaum, zumal er zuletzt wochenlang an einer Schambeinentzündung litt, die seinen Tatendrang, dem neuen Klub effektiv zu helfen, bremste. Wieder einmal war der schon oft von Verletzungen und Erkrankungen geplagte Boadu ein Torjäger in spe.

Kurz vor der Saisonfortsetzung in diesem Januar beschrieb Hecking seine bisher noch eher stumpfe Sturmspitze als „speziellen Typ, bei dem man auch mal ein Auge zudrücken muss“ – und wollte damit sagen, dass Boadu „kein Trainingsweltmeister“ sei. Am Samstag aber, zum Spiel gegen die Bundesliga-Topmannschaft RB Leipzig, warf der erfahrene Fußballlehrer alle Bedenken über Bord und setzte auf den mit reichlich Talent gesegneten Stürmer. Und der, in bisher gerade mal sieben Spielen nur mit zwei Treffern belohnt, blühte auf wie noch nie beim VfL.

RB Leipzig führte dank der binnen elf Minuten erzielten Treffer von Willi Orban (10. Minute), Antonio Nusa (13.) und Christoph Baumgartner (21.) zur Pause 3:0. Aus der Sicht des Tabellenletzten schien das Spiel fast schon gelaufen. Dann aber schlug Bochum in Person von Myron Boadu ebenso zügig zurück: Vor dem 1:3 rannte der in Amsterdam geborene und bei AZ Alkmaar zum Profi gereifte Spieler mit, als der schnelle Linksaußen Gerrit Holtmann nach einem missglückten Pass von Torhüter Peter Gulacsi den Ball Richtung Tor vorantrieb. Holtmanns Quervorlage nahm Boadu dankend an und bugsierte den Ball zum 1:3 ins Leipziger Netz (48.). Es war das Fanal zur westfälischen Wende.

Neun Minuten später stand Boadu wieder da, wo Entscheidendes passierte: Bernardo flankte, Stürmerkollege Moritz Broschinski touchierte den Ball und der Niederländer vollendete den Angriff mit einem Fußspitzentor zum 2:3. Kurz danach, in der 61. Minute, bejubelten die von der Wende im Eiltempo berauschten VfL-Fans ihren neuen Helden, als Boadu einen Foulelfmeter nach Nusas regelwidriger Attacke gegen Maximilian Wittek hoch ins rechte Toreck knallte. Aus 0:3 mach 3:3 binnen dreizehn Minuten: Das war vor allem Boadus Werk, der schlagartig demonstrierte, was in ihm steckt, wenn er einen Lauf hat und sich stark und wertgeschätzt fühlt.

Boadus ist seit Samstag der erst zweite Bochumer, dem ein Hattrick in der Bundesliga geglückt ist. Sein bisher unerreichter Vorgänger hieß Frank Schulz, dem das Kunststück von drei Toren nacheinander in einer Halbzeit im Mai 1987 beim 6:1-Sieg über den SV Waldhof Mannheim binnen 18 Minuten gelang. Boadu rundete seinen ersten großen Feiertag im Bochumer Dress fünf Minuten schneller als Schulz ab.

Kein Wunder, dass der Mann des Tages am Samstag von tiefen Glücksgefühlen beseelt schien. Als Jugendnationalspieler der Niederlande durchlief er sämtliche U-Mannschaften, 2019 bestritt er beim 5:0 gegen Estland ein A-Länderspiel samt einem Treffer und schien ein großes Versprechen für die Zukunft zu sein. „Ich habe noch nie solche Fans wie hier erlebt“, schwärmte er beim Blick auf die Anhänger der Blau-Weißen, die das Stadion an der Castroper Straße wieder einmal zu einer Stimmungshochburg der Bundesliga gemacht hatten. „Du willst alles machen, was du kannst, um ihnen ein gutes Wochenende und eine gute Woche zu bescheren“, sagte der dankbare Torschütze – und ergänzte seine Lobeshymne mit schönem Gruß an die zu früh zu siegessicheren Leipziger: „Du darfst Bochum nie abschreiben.“

Die Sachsen waren über sich selbst entsetzt, erstmals in ihrer Bundesliga-Vita einen Drei-Tore-Vorsprung verspielt zu haben. So wie sie drei Tage zuvor eine 1:0-Halbzeitführung beim VfB Stuttgart mit einer ähnlich fahrlässigen Leistung hergaben, am Ende 1:2 unterlagen und ihre beiden Torschützen Benjamin Sesko und Lois Openda nach Frustfouls und Gelb-Roten Karten verloren, ärgerten sie sich auch in Bochum über ihre verspielte Siegeschance. „Was das Thema Leichtfertigkeit betrifft“, klagte Trainer Marco Rose, „ist das eine Frage der Professionalität und Haltung. Wir reden von RB Leipzig, einem Champions-League-Klub.“ Das ist der Klub aus dem österreichischen Red-Bull-Konzern derzeit aber nicht mehr, schaut man auf die Bundesliga-Tabelle, in der die Mannschaft nur noch auf Rang fünf geführt wird.

Von solchen Sphären sind die Bochumer weit entfernt. Sie haben nach dem 1:0-Heimsieg am vorigen Dienstag über den FC St. Pauli durch einen Treffer des wuchtigen Mittelstürmers Philipp Hofmann und dem umjubelten Comeback beim 3:3 gegen Leipzig dank Boadus Hattrick frischen Mut gefasst, auch die nächste Probe aufs Exempel Klassenverbleib zu bestehen. Boadus gelegentlicher Kritiker Hecking war froh, dass der Mittelstürmer seiner diesmal ersten Wahl präsent wie nie in seiner Bochumer Zeit anmutete. „Er hat heute die richtigen Antworten geliefert“, lobte Hecking den aus dem Schatten ins Licht gepreschten Angreifer. „Wenn er so arbeitet (…), ist das enorm wichtig für uns.“

Dabei hatte er noch vor kurzem über Boadu gesagt: „Jeder spricht mich an, dass wir da jemanden haben, der doch richtig gut sei“. Darauf habe er geantwortet: „Ja, wenn er denn aus den Puschen kommt“. Gesagt, getan. Im Fußball kann sich vieles, wenn auch längst nicht alles, von einem auf den anderen Tag ändern. Die Crux dabei: Es kann dabei mal vorwärts, aber auch wieder rückwärts gehen.

  翻译: