Vendée-Globe-Logbuch : „Will nur noch das Boot nach Hause bringen“
Viele Wünsche sind es nicht mehr, die Boris Herrmann in diesen Tagen hat. Er selbst formuliert sie so: „Ich will nur noch das Boot nach Hause bringen und dabei gesund und heil bleiben. Wenn das ein paar Tage länger dauert, ist das auch nicht schlimm.“ Seit dem 10. November ist er unterwegs, seit 72 Tagen kämpft er auf seiner Rennyacht „Malizia – Seaexplorer“ gegen die Einsamkeit und die Gewalten der Natur.
Am Dienstagmittag trennten ihn noch rund 2000 Seemeilen (rund 3700 Kilometer) vom Zielhafen der Vendée Globe in Les Sables-d’Olonne. Herrmann hat in den vergangenen Tagen mehr und mehr den Anschluss an die vor ihm segelnde Konkurrenz verloren.
Zuletzt schoben sich die Französin Clarisse Crémer (L’Occitance en Provence) und die Britin Samantha Davies (Initiatives-Cœur) an ihm vorbei. Herrmann, der als einer der Favoriten ins Rennen gegangen war, ist nur noch Dreizehnter – aber welche Rolle spielt das für ihn noch?
Dem Gegenwind ausgeliefert
Bereits am vergangenen Dienstagmorgen überquerte der Franzose Charlie Dalin (Macif Santé Prévoyance) die Ziellinie. Innerhalb von 64 Tagen, 19 Stunden, 22 Minuten und 49 Sekunden hatte er mehr als 51.000 Kilometer zurückgelegt und stellte damit einen neuen Rekord bei der Vendée Globe auf. Auch seine Landsmänner Yoann Richomme (Paprec Arkea) und Sébastien Simon (Groupe Dubreuil) sind längst im Ziel. Herrmann hingegen klagte am Montag klagte darüber, beinahe nur noch dem Gegenwind ausgeliefert zu sein, seit er Kap Horn passiert hat.
Ende der vergangenen Woche war er zudem etwa 900 Seemeilen vor der Küste Brasiliens mit einem „unbekannten Objekt oder Tier“ zusammengestoßen, dabei wurde das Backbord-Foil seiner Yacht schwer beschädigt. Mit drei Leinen hat er die linke Tragfläche danach fixiert – und muss seither aufpassen, dass der Schaden nicht noch größer wird. „Auch wenn ich Steuerbordschlag fahre, kann ich wahrscheinlich nicht schneller als zehn oder elf Knoten fahren“, sagt er und räumt ein, dass er „Angst habe, dass es sich lösen oder weiter brechen könnte“.
Schon in den Wochen zuvor war das Rennen für Herrmann nicht so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte: Schlechtes Wetter, herausfordernde Windbedingungen, falsche Kursentscheidungen, ein Blitzeinschlag an Bord, ein Schaden am Mast und Probleme am Vorsegel verhinderten letztlich, dass der Deutsche um den Sieg kämpfen konnte.
„70 bis 80 Knoten Wind“
Und obwohl es nun nur noch ums Ankommen geht, steht die nächste Herausforderung bereits bevor: Ein Tiefdrucksystem soll am kommenden Wochenende Sturmböen und bis zu acht Meter hohe Wellen mit sich bringen: „Wir könnten 70 bis 80 Knoten Wind bekommen“, sagt Will Harris, der Ko-Skipper von Herrmann. „Wir drücken die Daumen, dass der Sturm nicht zu groß wird.“
Schon jetzt sind die Strapazen für Mensch und Material enorm. Sechs Seglerinnen und Segler mussten die Vendée Globe vorzeitig beenden, die letzten der noch verbliebenen Teilnehmer auf dem Plätzen 32 bis 34 haben noch mehr als 6000 Seemeilen vor sich.
In den vergangenen Stunden war auch der Brite Sam Goodchild (Vulnerable) immer weiter zurückgefallen und lag zuletzt auf Platz sieben. Ihm macht ein Riss im Großsegel zu schaffen. „Ich versuche nur noch, mein Boot wieder in den Hafen zu bringen. Wenn ich es nicht reparieren kann, muss ich auf den richtigen Wind warten, bevor ich es zurückschaffen kann“, sagt Goodchild.
Er teilt sein Schicksal mit Herrmann. Dessen Team an Land versucht trotz all der Rückschläge das Positive zu sehen. Am Montagabend sagte Pifou Dargnies, der Technische Direktor des Teams, in der „Malizia Vendée Show“ auf dem eigenen Youtube-Kanal: „Wir haben noch einen Mast, einen Kiel, zwei Ruder und genügend funktionierende Systeme an Bord, um weiterzumachen und sie nach Hause zu bringen. Wir schauen weiterhin auf das große Ganze. Und das heißt: Wir segeln immer noch dem Ziel entgegen.“ Herrmann dürfte noch rund eine Woche unterwegs sein.
Die Vendée Globe gilt als die härteste Regatta für Einhandsegler. Sie begann am 10. November an der französischen Atlantikküste und führt entlang des Südpolarmeeres einmal um den Globus.