Biergarten „Die Null“ in München: Ist kein Alkohol doch eine Lösung?

Wenn man hört, dass in München ein alkoholfreier Biergarten mit dem Namen „Die Null“ eröffnet werde, hat man erst einmal ein Störgefühl. Geht’s hier jetzt auch los mit der Gängelei? Zum Wesen des Biergartens gehört doch schon dem Namen nach nicht etwa das Spezi oder der Virgin Mojito (frische Minze, Limetten, Ginger Ale), sondern das Bier. Das gibt es zwar längst auch in der alkoholfreien Variante. Aber wenn der Obersendlinger Franzl Lang einst sang, er möchte gern „an Biersee so groß wie der Schliersee“, dann war doch jedem anständigen Bayer klar, dass er damit kein Clausthaler meinte: „Wenn ich auch kein Karpfen bin / bin ich doch gern blau.“ Im Übrigen: Hat nicht jüngst sogar der Kanzler das Motto ausgegeben: Sowohl-als-auch statt Entweder-oder? Oder, wie die FDP sagen würde: Technologieoffenheit. Sollte die nicht auch den wichtigsten Kraftstoff des Freistaats einschließen? Mit derlei Gedanken im Kopf geht man dann zur Eröffnung des Biergartens am Karl-Stützel-Platz, der sich zuletzt in Richtung Frankfurter Bahnhofsviertel entwickelt hat. Die Umgebung ist eigentlich sehr ansprechend. In unmittelbarer Nähe der Alte Botanische Garten, das „Park Café“ und das „Café Kosmos“, das Luisengymnasium, 1822 als „Schule für höhere Töchter“ gegründet, außerdem das Grand Hotel The Charles, in dem kürzlich Rod Stewart übernachtet hat. Allein: das Publikum. Im Park werden Drogen vertickt und konsumiert, auch das hässliche Gesicht des Alkohols ist hier gegenwärtig. Alkoholfreies statt Überwachungskameras Es gibt Leute, auch in der Stadtpolitik, die fänden es vernünftig, dem Problem mit Kameras und stärkerer Polizeipräsenz zu Leibe zu rücken. Florian Schönhofer, Betreiber der Bar „Café Kosmos“, hatte eine andere Idee. Quasi die Broken-Windows-Theorie umkehren: einen Platz des Guten und Schönen schaffen, der dann vielleicht auf die Umgebung abstrahlt. Schönhofer ist natürlich zur Eröffnung gekommen, auch der General-Manager vom The Charles, Florian Steinmaier. Sein Haus beteiligt sich finanziell und ideell am Biergartenprojekt. Er sagt, er sei nicht fürs Besserwissen, sondern fürs Bessermachen. Seine Mitarbeiter, mehr als 300 Leute, die vorwiegend über den nahen Hauptbahnhof zur Arbeit kämen, überlegten sich mittlerweile, ob sie einen Bogen um den Stützel-Platz machen sollten. Dem müsse man etwas entgegensetzen: den Platz „positiv bespielen“, ihn „zurückholen“, so Steinmaier. Der Hoteldirektor, der auch schon in Frankfurt gearbeitet hat, trinkt gerade ein Augustiner Alkoholfrei, das der Brauerei zuletzt aus den Händen gerissen wurde. Auf Ebay wird der Kasten derzeit für 80 Euro plus gehandelt. Steinmaier glaubt nicht, dass die Absenz von Alkohol dem Erfolg des Biergartens, der übrigens wenig Gartiges hat, im Wege steht. Viele tränken ja nur Alkohol, weil sie keine Lust auf die Frage hätten, warum sie denn nichts tränken. Steinmaier zeigt sich als Anhänger einer These, die einst von einem bayerischen Staatsminister wie folgt ausbuchstabiert wurde: „Man kann nicht viel arbeiten, wenig schlafen und dann auch noch viel saufen.“ Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), dessen Verwaltung das erst einmal auf zwei Monate angelegte Projekt genehmigt hat, ist inzwischen auch eingetroffen. Schön gebräunt und mit weißen Sneakern ist er in Sachen Vitalität das Gegenbild zu den vier Männern, die sich im nahen Gras liegend anhören, was er auch über sie zu sagen hat. Vor drei Monaten habe sich hier „ein relativ niederschmetterndes Bild für eine Stadt wie München“ dargeboten, sagt das Stadtoberhaupt mit Blick auf den Platz. Hier sei „eine Szene gewesen, wo sich viele alkoholabhängige Menschen getroffen haben“. Da mache es „jeden Sinn, hier einen Biergarten zu versuchen, in dem es halt nur alkoholfreies Bier gibt“. Ein Grund für die ungünstige Entwicklung seien die Baustellen am Hauptbahnhof, mit denen die Deutsche Bahn ihrem dehnbaren Zeitbegriff tatsächlich alle Ehre macht. Erschwerend hinzugekommen sei der Bankrott eines „Immobilienhasardeurs“, gemeint ist René Benko, der zu Leerstand mit den bekannten Folgen geführt habe, Stichwort Broken Windows. Dieser Teil Münchens „muss, wird wieder schöner werden“, so Reiter. „Man muss nicht mehr unbedingt Alkohol trinken“ Und wo bleibt dabei das bayerische Credo leben und leben lassen? Es fängt schon damit an, dass der Biergarten keinen Eintritt kostet und es keinen Konsumzwang gibt. Reiter sagt, Brauer hätten gefragt, „was uns einfällt, hier einen alkoholfreien Biergarten zu machen, wo ist denn die Vielfalt?“. Er habe erwidert: Wenn man aus dem Bayerischen Wald komme, wo es zwei Biergärten auf zwei Kilometer gebe, könne man die Frage vielleicht stellen – „bei uns gibt es ungefähr hundert Biergärten, und in 99 gibt es neben alkoholfreiem auch alkoholhaltiges Bier“. Im Übrigen werde der Anteil an Menschen, die gern Alkoholfreies trinken, „ständig größer“. Der Betreiber des „Café Kosmos“ assistiert: „Es ist nicht mehr so, dass man unbedingt Alkohol trinken muss.“ Er gibt aber zu, dass man die Abstinenz kompensieren sollte: mit einem Kulturprogramm. Münchner Bands sollen hier auftreten, auch der Chor des Münchner Amtsgerichts. Musik statt Alk – ist das bloß Losung oder auch Lösung? Reiter sagt: „Natürlich werden sich weder die Alkoholabhängigen noch die Junkies oder die Dealer einfach in Luft auflösen.“ Man müsse sich also mehr überlegen, mehr tun, „um diesen Menschen auch zu helfen“. Am Ende, nach dem Genuss eines Mocktails namens „Sportsmenwomendivers“, geht man durch den Alten Botanischen Garten, sieht einen Mann mit heruntergelassener Hose und muss an J.D. Vance denken. Der Vizepräsidentschaftskandidat hat ja die Wandelbarkeit des Menschen nicht nur in Bezug auf seine Haltung zu Donald Trump (übrigens Antialkoholiker) unter Beweis gestellt, sondern auch mit Blick auf seine Ernährung. Er sei ein „Fleisch-und-Kartoffel“-Typ, sagte seine Frau auf dem Parteitag der Republikaner, habe sich aber an ihre vegetarische Ernährung angepasst. Warum sollte derlei Veränderung nicht auch bei den Getränken möglich sein?