Soziologin über Beziehungen : „Die Ehe ist ein Anker in einer instabilen Welt“
Hoch interessant, dass Sie diese Frage zuerst stellen – tatsächlich scheint eher am Scheitern als am Gelingen von Beziehungen und Ehen Interesse zu bestehen. Das gilt im Übrigen auch für die Soziologie: Wir haben eine ausgebaute Soziologie der Ehescheidung, weniger eine Soziologie der Eheschließung. Und wir wissen kaum etwas über das Gelingen von Ehen. Zu Ihrer Frage: Die Statistiken nennen als häufigste Gründe Geld, Alkohol, Drogen – was man sich eben so als großes Theater und Ehedrama vorstellen kann. Allerdings würde ich zu einer gewissen Vorsicht in der Interpretation raten. Denn es wird selten so viel gelogen wie über Scheidungsgründe. Es reicht ja nicht, dass wir verheiratet sind, sondern wir müssen glücklich verheiratet sein. Wir gehen ja auch nicht mehr einfach essen, sondern wir wollen schön essen gehen. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir bis zur Scheidungsreform in den Siebzigerjahren das sogenannte Schuldprinzip hatten. Das heißt, eine Ehe konnte nur vor Gericht geschieden werden – das ist heute immer noch so. Es kam aber damals darauf an, dass die Schuld am Scheitern der Ehe festgestellt wurde. Daran sieht man, wie moralisch aufgeladen diese Unternehmung ist. Vor der Scheidungsreform war allseits bekannt, dass zwischen den Partnern der nicht mehr funktionierenden Ehe eine ganze Reihe Absprachen getroffen wurde. Wer offiziell die Schuld an der Scheidung übernahm, hat sich in der Regel dafür etwas anderes ausgehandelt. Das war ein ziemliches Geschachere und mit ein Grund dafür, dass das Schuldprinzip vom Zerrüttungsprinzip abgelöst wurde. Die Scheidung wurde nicht nur entstigmatisiert, sondern auch entmoralisiert.
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