Dschungelcamp-Kolumne :
„Ist das hier nur was für Blöde, das Format?“

Von Marie von den Benken
Lesezeit: 6 Min.
Musste abermals antreten: Sam Dylan bei der Dschungelprüfung
An Tag sechs im Dschungel hadern manche Camper mit Diversity, andere mit Schulwissen. Zum Glück bleibt Verlass auf die ausgefeilten Dialoge: Eine Pornoschmonzette schreibt sich gar von ganz allein.
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Wir leben in aufregenden Zeiten. Die Gesellschaft wird sensibler, und in den vergangenen Jahren ist Diversity zu einem unverzichtbaren Bestandteil jeder Erfolgsgeschichte geworden. Bei „Germany's Next Topmodel“ gehören inzwischen kleinere, ältere und fülligere Models zum Inventar, kein ZDF-Krimi kommt ohne lesbische Ermittlerin aus. Die rechtspopulistische Turbopatrioten-Schickeria lässt keine Gelegenheit verstreichen, sich darüber zu echauffieren, in der Werbung würden nur noch Menschen mit Migrationshintergrund gezeigt, und es soll mittlerweile sogar DAX-Konzerne geben, die Frauen im Topmanagement zulassen.

Von dieser oftmals als „woke“ diskreditierten Neuausrichtung des Diskurses auf respektorientierten Sprachgebrauch hat der überraschend günstig an einem mallorquinischen Strand direkt von einem bunten Handtuch gekaufte Helene-Fischer-Klon Anna-Carina Woitschack allerdings noch nicht viel gehört. Für sie ist „woke“ einfach eine weltberühmte Modezeitschrift, die in den USA seit 1988 von Anna Wintour geleitet wird. Gut, für Anna-Carina Woitschack war auch Stefan Mross ein Traummann, aber Schwamm drüber.

Mit Pumps auf die Welt gekommen

Andererseits ist Anna-Carina Woitschack eine erfolgreiche Schlagersängerin, deren Superhit „Herzen haben keine Fenster“ sich 23 Wochen in der Playlist des „Immer wieder sonntags“-Fanklubs Reit im Winkl gehalten hat. So jemand lässt sich wohl kaum von der neohysterischen Sprachpolizei vorschreiben, was man noch sagen darf. Da könnte sie sich ja gleich eine Wärmepumpe kaufen. Also fragt sie Staffel-Buddha Pierre Sanoussi-Bliss frei von der Leber weg: „Warst du schon immer schwul?“ Ganz normale Fragen halt. Jedenfalls wenn man glaubt, Homosexualität wäre sowas wie Gürtelrose.

Zum Glück ist der hinter Beinahe-Olympiasieger Jürgen Hingsen und Beinahe-Sportreporterlegende Jörg Dahlmann drittälteste Dschungelveteran mit allen Wassern gewaschen, sogar mit den antiregenbogenfarbenen, und antwortet zielsicher: „Ich bin mit Pumps auf die Welt gekommen!“ Das war bestimmt ein epischer Moment im Kreissaal, als der Chefarzt sagte: „So, Sie dürfen jetzt die Nabelschnur von Ihrem Sohn durchtrennen, aber Vorsicht mit den Louboutins, in der kleinen Größe müsste das eine Sonderanfertigung sein!“

Nina Bott schaltet kurz den Ghost-Modus aus

Skandalreporter Jörg Dahlmann hadert derweil mit Anna-Carinas Sexualitätsradar. Er findet offenbar, es müsse eine natürliche Verbindung zwischen ihr und homosexuellen Männern geben, denn: „Schwule mögen doch Schlager!“ An der Stelle wacht sogar Playboy-Triple Nina Bott kurz auf, die bislang offenbar die Taktik verfolgt hat, sich möglichst an gar nichts zu beteiligen. Im Prinzip eine brauchbare Strategie: Wie sollen die Zuschauer sie rauswählen, wenn sich keiner erinnert, dass sie überhaupt dabei ist? Die im CSD-affinen Hamburg aufgewachsene Bott schaltet beim Thema Schwulsein also kurz den Ghost-Modus aus, hat zuvor aber scheinbar nicht alles komplett sinnerfassend mitbekommen: „Jörg, du bist auch schwul? Das wusste ich nicht!“

Muss später in die Dschungelprüfung: Lilly Becker
Muss später in die Dschungelprüfung: Lilly Beckerdpa

Halb so wild, liebe Nina – er selbst auch nicht. Entsprechend wortreich wehrt sich der Mann, der gerne mal eine Kuschelnacht mit Sophia Thomalla erleben würde: „Jetzt spreche ich drei Tage nicht mit dir! Ich bin 100 Prozent hetero!“ Ein weiterer unglücklicher Satz in der an Fauxpas-Aussagen nicht unbedingt armen Zitatvitrine von Jörg Dahlmann, bei dem sogar Pierre Sanoussi-Bliss für einen Moment seine Pumps auszieht: „Du sagst das so, als wäre Schwulsein was Schlimmes. Und das ist das Schlimme!“ Einmal in Rage legt Pierre zur Analysestunde im Dschungeltelefon noch mal nach: „Niemand hat was gegen Schwule, aber wenn es die eigene Tochter oder der eigene Sohn ist, wird es schwierig. Herzlich willkommen in 1950!“

Yeliz Koc wollte „eigentlich gar nicht darüber reden“

In diesem Diversity-Gewitter gehen sogar die von Yeliz Koc für Auftritte im Reality-TV sorgsam zurechtgelegten Gossipthemen beinahe unter. Die steht nämlich ein paar Meter weiter und beichtet Sam Dylan und dem Rest der zuletzt 4,14 Millionen Zuschauer, dass Jimi Blue Ochsenknecht, der Vater ihrer Tochter, das ganze Jahr keinen Unterhalt gezahlt hat, seine Tochter nicht anerkennen und sogar „zur Adoption freigeben“ wollte, sich nicht mal dafür interessierte, in welchem Krankenhaus sie zur Niederkunft lag und sie dennoch die eine oder andere Rechnung für ihn bezahlt hat, wenn „die Polizei vor der Tür stand“ und er „sonst in den Knast gegangen“ wäre. Nachdem diese Infos feinsäuberlich durchchoreographiert dem Boulevard zum Ausschlachten und Schlagzeilen-Produzieren feilgeboten worden sind, schiebt sie noch ein schüchternes „Ich wollte eigentlich gar nicht darüber reden“ hinterher und nestelt als Zugabe minutenlang mit beinahe antrainiert wirkendem, perfektem Lolita-Charme ein wenig an ihrem Bikinioberteil herum.

Jörg Dahlmann hat sich unterdessen von seinem Homophobie-Schock erholt und versucht es zur Abwechslung mit Misogynie: „Bei Tinder werden dir Frauen aus der Umgebung angeboten – mit Bild! Das war für mich wie Frühstück und Abendessen!“ Frauen werden angeboten und dann vom Mann verspeist. Als Mann swiped man also quasi durch Dating-Apps und bekommt dort willige Frauen wie Sonderangebote im Supermarkt offeriert. Ob Dahlmann, der Thilo Mischke des Dschungels, mit dieser Aussage wirklich seinen intellektuellen „Ich finde Schwule toll, ich möchte nur nicht für einen gehalten werden“-Ausfallschritt kompensieren kann, ist wohl unwahrscheinlicher als eine spontane Blitzehe zwischen Sam Dylan und Lilly Becker.

Kein Zustrom an Bildung

Unten am Lagerfeuer entdeckt Jürgen Hingsen derweil den Oberlehrer in sich und bestellt Maurice Dziwak zur Dschungelabiturprüfung ein. Bislang hatten sich Alessia Herren und Sam Dylan ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert, wer dem deutschen Abschneiden bei der nächsten PISA-Studie mehr statistischen Schaden zufügen kann. Jetzt jedoch outet Hingsen Ruhrpott-Realitystar Dziwak als Opfer des Zustrombegrenzungsgesetzes. Also, was den Zustrom von Bildung betrifft. Nachdem amtlich festgestellt worden ist, dass Dziwak weder „Der Gallische Krieg“ von Caesar gelesen hat noch weiß, was der Westfälische Frieden ist, setzt Hingsen den tränennahen Dziwak mit einer finalen Politikfrage Schachmatt: „Pistorius kennst du aber?“ Beisitzer Jörg Dahlmann guckt inzwischen, als erwarte er von Maurice Dziwak eine Antwort in Richtung: „Klar. Das ist der Typ aus Südafrika ohne Beine, der seine Freundin durch die Badezimmertür erschossen hat!“

Dziwak sagt aber lieber gar nichts, Hingsen zeigt sich erschüttert: „Hast du überhaupt ein politisches Wissen? Guckst du mal Markus Lanz?“ Politisches Wissen und Markus Lanz – Gagschreiber ist Hingsen also auch noch. Dziwak ist deshalb aber trotzdem nicht aus dem Schneider: „Bei aller Liebe, der weiß ja gar nichts. Der sollte noch mal in die Schule gehen!“ Da platzt dann aber selbst dem friedvollen Dziwak der Kragen: „Das sagt man hier nicht! Man stellt die anderen nicht als dumm hin!“ Hingsen kann diese angebliche Regel nicht vollumfänglich nachvollziehen: „Warum? Ist das hier nur was für Blöde, das Format?“

Die Frage beantwortet er sich in seiner Schlussbewertung zu Maurice Dziwak dann allerdings überraschend selbst: „Es gibt keinen größeren Schatz wie Wissen!“ Außer halt Grammatik. Den Rest des Abends lässt der Erniedrigungs-Sachverständige von RTL jedes Mal den Song „I'm so dumb, dumb, dumb“ einspielen. Seinen bildungshorizontal eher überschaubar erfolgreichen Tag krönt Maurice Dziwak später beim gemeinschaftlichen Kochvorgang noch mit dem Legendensatz: „Mehrere Breie verderben das Essen.“ Ja gut, aber wenigstens redet er nicht um den heißen Koch herum.

„Ich habe einfach gedacht, ich bin eine Toilette“

Um der geballten Synapsenunterzuckerung Einhalt zu gebieten, eröffnet Yeliz Koc in Vorbereitung ihrer Essensprüfung geistesgegenwärtig ein diskursrelevantes Ablenkungsmanöver: „Gibt es eine Technik, wie man das Würgen unterbindet?“ Da kann Vomierfachmann Timur Ülker helfen: „Einfach raus, mit der Hand auffangen und wieder reinstecken!“ Für Yeliz anscheinend ein vertrautes Konzept, denn sie antwortet (Ich schwöre, ich denke mir das nicht aus) prompt: „Das habe ich mit dem Penis ja auch gemacht!“

Pierre, der sich kurz zuvor noch über Schwulenklischees echauffiert hatte, kommentiert diese Pornoschmonzette mit einem süffisanten „Das macht man doch auch so, habe ich gehört!“ Warum sich Yeliz noch immer zum Einmaleins der Kotzarithmetik beraten lassen muss, ist aber ohnehin eigenartig. Mit spontanem Brechdurchfall sollten sich doch alle Campinsassen bestens auskennen, seit Edith Stehfest regelmäßig „Durch den Monsun“ in verschiedenen Tonlagen anstimmt. Vielleicht liegt es aber daran: „Ich habe ein Trauma, was übergeben angeht!“ Das ist auch der Grund. warum Yeliz nicht Staffelläuferin geworden ist.

Anschließend holt das Prüfungstrio Yeliz Koc, Lilly Becker und Sam Dylan stabile vier Sterne am Ekelkiosk, und Luxusartikel-Trickbetrüger Sam verrät sogar sein Erfolgsrezept: „Ich habe einfach gedacht, ich bin eine Toilette, und das muss jetzt da rein!“ Herzlich willkommen im Lyrikparadies Dschungelcamp. Morgen trifft es dann übrigens Tokio-Hotel-Coverband Edith und natürlich Hate-Voting-Magnet Sam. Wie dieses skurrile Duo sich in der Prüfung schlägt, das verrate ich hier morgen. Bis dann!

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