Medizin-Nobelpreis 2022 : Wie der Mensch zum Menschen wurde

Der Paläogenetiker Svante Pääbo erforscht, wie viel Neandertaler noch in uns steckt. Jetzt hat er für seine Leistungen den Nobelpreis für Medizin erhalten.
Kühn – so ließe sich Svante Pääbo treffend beschreiben. Der gebürtige Schwede versuchte einst, aus altägyptischen Mumien DNA zu gewinnen, mit zweifelhaftem Erfolg. Die ruhmreich veröffentlichte Sequenz nennt er inzwischen „donnersicher eine Kontamination“. Ein Jahrzehnt später ließ er nonchalant einen der berühmtesten Knochenfunde Deutschlands anbohren: Der Neandertaler hat es ihm angetan, mit seiner Hilfe will Pääbo das Wesen des Menschen ergründen.
Aus dem studierten Mediziner mit einem Faible für Ägyptologie ist ein versierter Grundlagenforscher geworden. Sein größtes Interesse gilt dabei unseren Ursprüngen, dem Pääbo als einer der Gründungsdirektoren heute am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nachgeht. Er zählt zu den Wegbereitern der Paläogenetik – mit erheblichem Einfluss, mancher Kollege verehrt oder fürchtet ihn beinahe wie den Paten.

Aufgewachsen ist Pääbo in Stockholm als unehelicher Sohn einer alleinerziehenden Mutter, der Vater ein Nobelpreisträger, er selbst kein Musterschüler, aber begeisterter Kletterer, und die eigenen Kinder kamen erst spät. Seinen Werdegang legte Pääbo vergangenes Jahr in einer Art Doppelbiographie offen. Was diese über das Geschehen in seinem doch recht jungen Forschungsfeld an Details verrät, verschweigt sie auch im Privaten nicht.
Seit es ihm im Jahr 1997 erstmals gelungen ist, Erbinformationen aus den Gebeinen unserer vor vielen Jahrtausenden ausgestorbenen Verwandten zu entziffern, enthüllt Pääbo mit seinen Mitarbeitern immer wieder Kapitel der Evolutionsgeschichte. Sie erlauben intime Einblicke. Die nun möglichen Gen-Vergleiche belegen beispielsweise, dass unsere Ahnen keine Kostverächter waren, wir wohl so manches vom Neandertaler erbten und offenbar nicht nur von diesem.
Die Zukunft hält vielleicht weitere Überraschungen bereit, denn Svante Pääbos Team konnte schon menschlichen Überresten, die mehr als 400.000 Jahre im Erdreich einer spanischen Höhle lagen, noch etwas DNA abringen. Heute ist dem Urmenschsucher Svante Pääbo der diesjährige Nobelpreis zuerkannt worden.