F.A.Z. Podcast für Deutschland : Sigmar Gabriel im Interview über Russlandpolitik: „Wir haben Fehler gemacht“

In seiner Zeit als Wirtschaftsminister wurde Nord Stream 2 auf den Weg gebracht – obwohl da Russland bereits die Krim annektiert hatte. Über Fehleinschätzungen, Europas Ambitionen und die Rolle Chinas bei der Beilegung des Ukrainekriegs.
Der ehemalige Wirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat Fehler in der Russlandpolitik der vergangenen Jahrzehnte eingestanden. „Wir haben lange Zeit gedacht, im Grunde würde sich Russland so verhalten wie die Sowjetunion. Denn mit der hatten wir ja die Erfahrung, dass sie selbst in den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges Energie geliefert hat”, sagte Gabriel dem F.A.Z.-Podcast für Deutschland, das sei ein Fehler gewesen. „Der Unterschied ist, dass Russland eine revisionistische Macht ist, die bereit ist, mit militärischer Gewalt Grenzen zu ändern.” Die Sowjetunion hingegen sei eine Status-Quo-Macht gewesen, mit der man berechenbar hätte umgehen können, sagte Gabriel. In Deutschland habe man “die Friedensdividende in der Energiepolitik” überschätzt.
In Gabriels Amtszeit als Wirtschaftsminister begann das Projekt Nord Stream 2, außerdem wurde der größte Gasspeicher Deutschlands verkauft. Auf die Frage, ob die Pipeline ein Fehler gewesen sei, antwortete Gabriel ausweichend. Aus Gabriels Sicht trägt die Bundesregierung nur mittelbar Verantwortung für die Umsetzung der Nordstream-Projekte.
Schließlich habe man im Jahr 2002 den Gasmarkt liberalisiert. Hätte es diese europäische Gesetzgebung nicht gegeben, wäre Nord Stream 2 verboten worden, sagte Gabriel. Das Unternehmen habe sich aber an alle Spielregeln gehalten. „Das kann man alles heute schrecklich finden. Und es stimmt ja auch – die Abhängigkeit ist viel zu groß. Aber wir haben die Verantwortung der Politik drastisch reduziert, in der Versorgungssicherheit sogar auf Null gebracht“, sagte Gabriel dem F.A.Z.-Podcast. Beim Öl gebe es noch eine Reserve, nicht aber beim Gas.
Auf die Kritik, dass die SPD ein Russland-Problem habe, reagierte Gabriel mit Unverständnis. „Die Union ist seit 2005 erstens im Kanzleramt und zweitens übrigens seitdem auch im Verteidigungsministerium zuständig. Alle haben doch nach Wegen gesucht, Russland in irgendeiner Weise davon abzubringen, seine aggressive Haltung zum Beispiel in der Ostukraine fortzusetzen. Es ist doch keine besondere Idee der Sozialdemokraten.“
Zur Debatte über eine neue Sicherheitsarchitektur Europas sagte Gabriel: „Der erste Schritt ist erst mal gemeinsame Außenpolitik. Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik folgt der Außenpolitik, nicht umgekehrt.“ Weiter sagte er: „Wir reden ja immer ganz schnell über Europa. Wir haben gar nichts als Grundlage dafür. Wir wollen immer gleich beim Masters Golfturnier mitspielen, aber können nicht mal Minigolf.“