Entwicklungspolitik :
Das Handy verhilft Frauen zum eigenen Konto

Gastbeitrag
Von
Christoph Beier
,
Alfred Hannig
Lesezeit:
In afrikanischen Ländern laufen die meisten Bankgeschäfte über das Mobiltelefon.

Die Zahl der Menschen ohne Bankkonto hat sich in wenigen Jahren fast halbiert. Die Innovationen kamen von den Schwellen- und Entwicklungsländern selbst, stellen der ehemalige GIZ-Vorstand und der Finanzexperte fest.

Weitgehend unbeachtet von einer breiteren Öffentlichkeit unternimmt eine große Anzahl von Entwicklungs- und Schwellenländern seit etwa 15 Jahren erhebliche Anstrengungen, um die Inklusion bisher benachteiligter Menschen in ihre jeweiligen Finanzmärkte voranzutreiben. Vielerorts erhielten Männer und Frauen Zugang zu finanziellen Dienstleistungen, die durch kluge regulatorische Vorgaben finanzmarktpolitisch auf den Weg gebracht wurden. Wirtschaftsentwicklung, Armutsreduzierung und Finanzmarktstabilität sind dabei die treibenden Ziele.

Zwischen 2011 und 2021 hat sich der Anteil der erwachsenen Bevölkerung, die über kein eigenes Konto verfügt, laut der Datenbank Global Findex der Weltbank von 2,5 Milliarden auf 1,4 Milliarden Menschen verringert. Das heißt, der Anteil der Menschen ohne Bankkonto ist weltweit von 51 Prozent auf rund 25 Prozent zurückgegangen. Beachtliche Erfolge gab es dabei vor allem auch bei der Inklusion von Frauen in die formellen Finanzmärkte. Dieser „Gender Gap“, der Unterschied zwischen Männern und Frauen ohne ein eigenes Konto, konnte weltweit von 7,4 Prozent im Jahr 2017 auf 4,4 Prozent im Jahr 2021 verringert werden.

Auch wenn diese Daten zwischen unterschiedlichen Ländern und Regionen erheblich variieren, so ist der Trend doch eindeutig. Die Fortschritte der Entwicklungs- und Schwellenländer sind insgesamt beeindruckend.

Die Digitalisierung von Finanzdienstleistungen ist der Haupttreiber für die Inklusion. In Subsahara-Afrika war es vor allem der bargeldlose Zahlungsverkehr über Mobiltelefone, der die finanzielle Inklusion deutlich vorangetrieben hat. Andere Länder haben eher eine Kombination aus Mobiltelefonen, Internetangeboten und Karten genutzt, um finanzielle Dienstleistungen einer größeren Bevölkerungsgruppe zugänglich zu machen. Weltweit stieg der Anteil der Erwachsenen, die eine digitale Zahlung getätigt oder erhalten haben, zwischen 2014 und 2021 um 20 Prozent auf rund 65 Prozent. Besonders hohe Zuwächse weisen dabei Lateinamerika, die Karibik, Ostasien und der Pazifik sowie Subsahara-Afrika auf.

Flexibilisierung der Nutzung

Ein weiterer Inklusionsschub wurde interessanterweise durch die Corona-Krise ausgelöst, da in vielen Ländern notwendige Transfers von Finanzmitteln für und zwischen ärmeren Bevölkerungsgruppen in Zeiten rigider Kontaktbeschränkungen fast nur noch über digitale Kanäle abgewickelt werden konnten. Zentralbanken und andere regulatorische Instanzen haben hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet, indem sie die Nutzung digitaler Finanzdienstleistungen für diese Zeit flexibilisierten.

Bemerkenswert ist, dass die notwendigen technologischen Innovationen in vielen Fällen von den Entwicklungs- und Schwellenländern selbst kamen, die entsprechende Start-ups, Gründer und innovative Produkte förderten und gleichzeitig hierfür finanzmarktpolitische Rahmenbedingungen schufen.

Diese Entwicklungen stellen das bestehende Paradigma der internationalen Entwicklungszusammenarbeit infrage. Während viele bi- und multilaterale Geber noch immer überwiegend Nord-Süd-Wissenstransfers organisieren, findet das Lernen im Finanzbereich seit einiger Zeit ganz wesentlich zwischen den Entwicklungs- und Schwellenländern selbst und auch in umgekehrter Richtung statt.

Austausch auf Augenhöhe

Finanzielle Entwicklung ist aus dem Schatten eines entwicklungspolitischen Nischenthemas herausgetreten und hat sich im wirtschafts- und finanzmarktpolitischen Mainstream etabliert. Dies zeigt sich auch an der zunehmenden Bedeutung des Themas in den alten Industrieländern, dokumentiert zum Beispiel durch die vor Kurzem durchgeführte Deutschlandkonferenz zu finanzieller Ausbildung oder die gerade verabschiedete Finanzinklusion-Strategie der USA.

Im Bereich der Finanzmarktregulierung findet der globale Austausch zwischen Industrieländern einerseits und Entwicklungs- und Schwellenländern andererseits heutzutage tatsächlich auf Augenhöhe statt. Die gängigen Muster der Einteilung der Welt in Nord und Süd, in arme und reiche Länder oder große und kleine Staaten erscheinen in dem Kooperationsmodell, das sich im Bereich der finanziellen Inklusion abzeichnet, als Relikte aus einer anderen Zeit. Im Zuge rasant voranschreitender Technologien lernen heute alle von allen, zum Beispiel im Bereich Konsumentenschutz, finanzielle Ausbildung, technologiegestützte Überwachungsverfahren, Cybersicherheit und Datenschutz.

Eigens dafür geschaffene Lernplattformen, wie beispielsweise die Alliance for Financial Inclusion (AFI), ein von den Notenbanken aus mehr als 80 Schwellen- und Entwicklungsländern betriebenes Netzwerk, das sich zunehmend aus Mitgliedsbeiträgen finanziert, erfreuen sich einer großen und aktiven Nachfrage und werden von den Mitgliedsländern entsprechend ihrer eigenen Bedarfe selbst gesteuert.

In Zeiten, in denen etablierte Institutionen globaler Führung (governance) in die Krise geraten, entstehen hier neue Formen globaler Zusammenarbeit ohne die sonst so häufig von den Ländern „des Südens“ beklagte westliche Dominanz oder die bürokratische Ineffizienz, wie wir sie beispielsweise aus den Organisationen der Vereinten Nationen kennen. Diese Kooperationsmodelle auf Augenhöhe weisen in der Praxis auch genau die Merkmale auf, die von den Entwicklungsorganisationen der Industrieländer immer wieder als theoretisches Leitbild postuliert wurden, nämlich Eigenverantwortung und Regierungsführung durch die Hauptakteure in den Schwellenländern, weitgehend frei von interessengeleiteten Ansprüchen der Geberländer oder -institutionen.

Dr. Christoph Beier und Dr. Alfred Hannig
Christoph Beier ist als Lehrbeauftragter an der Universität Bonn sowie als Berater tätig. Davor verantwortete er 20 Jahre lang verschiedene regionale, strategische und fachliche Bereiche der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), von 2010 bis 2020 als Mitglied und stellvertretender Sprecher des Vorstands.
Alfred Hannig ist CEO und Vorstandsmitglied der Alliance for Financial Inclusion (AFI), einem globalen Netzwerk von Zentralbanken und anderen Regulierungsinstitutionen aus 85 Schwellen- und Entwicklungsländern. Davor war er 20 Jahre in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für die Planung und Durchführung von Finanzprojekten als auch als Berater von Zentralbanken in Südamerika, Afrika und Asien tätig.
Bilder: Privat
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