Es ist eine Konstante des Berufslebens, dass wir das Gefühl haben, unsere Vorgesetzten seien unfähig. Dass sie nicht das tun, was sie tun sollten. Dass sie nicht so sind, wie wir es gerne hätten. Manchmal sind wir genervt, manchmal resigniert. Aber eigentlich sind wir: enttäuscht.
Enttäuschung ist eines der grundlegendsten menschlichen Gefühle. Wir alle kennen es. Und wir alle waren im Laufe unseres Lebens in beiden Positionen: dass wir enttäuscht wurden und dass wir jemanden enttäuscht haben. Es sind zwei sehr unterschiedliche Gefühle. Angenehm sind sie beide nicht.
Aber wie gehen wir damit um, wenn andere nicht so sind, wie wir es uns erhofft haben? Wenn die Vorgesetzten nicht ihren Job machen?
Es gibt dazu ein Zitat, das dem deutschen Philosophen Karl Jaspers zugeschrieben wird, aber wir konnten es nirgends in seinen Werken finden. Wie dem auch sei, das Zitat ist schön, es lautet:
𝗠𝗲𝗻𝘀𝗰𝗵𝗲𝗻 𝘄𝗲𝗿𝗱𝗲𝗻 𝗯𝗲𝘀𝘀𝗲𝗿, 𝘄𝗲𝗻𝗻 𝗺𝗮𝗻 𝗕𝗲𝘀𝘀𝗲𝗿𝗲𝘀 𝘃𝗼𝗻 𝗶𝗵𝗻𝗲𝗻 𝗲𝗿𝘄𝗮𝗿𝘁𝗲𝘁 𝘂𝗻𝗱 𝘄𝗲𝗻𝗻 𝗺𝗮𝗻 𝗺𝗶𝘁 𝗶𝗵𝗻𝗲𝗻 𝘂𝗺𝗴𝗲𝗵𝘁, 𝗮𝗹𝘀 𝘄𝗮̈𝗿𝗲𝗻 𝘀𝗶𝗲 𝘀𝗰𝗵𝗼𝗻 𝗯𝗲𝘀𝘀𝗲𝗿.
Der Satz wird oft als Leadership-Tool verstanden: Die Mitarbeitenden so behandeln, als wären sie grossartig, in der Hoffnung, dass sie besser werden, als sie es im Moment noch sind. Uns gefällt der Gedanke, dass man es in der Hierarchie aber auch von unten nach oben denken kann.
Zurück also zu dem enttäuschenden Chef: Was passiert, wenn wir den Chef so behandeln, als wäre er bereits so, wie wir ihn gerne hätten? Vielleicht sind wir ein bisschen lockerer oder lustiger oder ehrlicher. Vielleicht hören wir genauer zu. Vielleicht äussern wir Kritik direkter und angstfreier.
Wir müssen uns ein wenig verstellen. Aber das Zitat legt nahe, dass wir das Schauspiel nicht aufführen, um die Gunst anderer zu gewinnen, sondern um unsere Einstellung zu ändern. Und dass unser Gegenüber nicht das Schauspiel spüren wird, sondern unsere veränderte Ausstrahlung. Vor allem steckt in dem Zitat der Gedanke, dass es eine bessere Version von allen Menschen gibt. Auch von uns selbst.
Wenn wir die Chefin so behandeln, als wäre sie besser, als sie ist, heisst das nicht, dass wir alles gutheissen, was sie sagt oder macht. Aber indem wir einen anderen Blick auf das Gegenüber haben, geben wir ihm die Möglichkeit, eine bessere Version seiner selbst zu werden.
Mit Mikael Krogerus
📰 Dies ist ein Auszug der aktuellen Kolumne von Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler in «Das Magazin» (Tamedia).