Bachmannpreis : Das ist literarischer Missbrauch!

Die Jury wacht auf und beharkt nicht nur die Autoren, sondern auch sich selbst. Die Texte werden besser - und unterschätzt. Beim Bürgermeister wird gemunkelt. Der zweite Tag beim Wettlesen um den Bachmannpreis.
Beim traditionellen Empfang des Klagenfurter Bürgermeisters im Schloss Maria Loretto am Ufer des Wörthersees wurde bei Sekt, Schnittchen und Sonnenuntergang das Wort Amazon gewispert, wohin man sich auch drehte und wendete; doch nichts davon ist hier zitierfähig, leider. Denn niemand im Literaturbetrieb will derzeit gegen den Netzgiganten in den Krieg ziehen, obwohl der mit Knebelverträgen die Verlage ziemlich in den Würgegriff nimmt. So etwas wie die Klagenfurter Tage der deutschsprachigen Literatur wäre unter Amazon-Gesichtspunkten natürlich ein Witz, eine Quantité négligeable, weil es hier zwar um alles Mögliche geht, aber sicherlich nicht um Bücher, die sich gewinnbringend verkaufen lassen.
Der zweite Tag des Wettlesens konnte das dramatisch schlechte Niveau des ersten Vorlesetags immerhin ein wenig aufhellen. Auch wenn es hier aufs Neue Ausreißer nach unten gab, etwa die von Birgit Pölzl vorgetragene Erzählung über eine Reise nach Tibet, bei der eine Frau um ihr Kind trauert, das von ihrem Mann überfahren wurde. „Esoterischer Kitsch“ befand die Jurorin Meike Feßmann, die der Autorin literarischen Missbrauch unterstellte. So hart ihr Urteil auch klingen mochte, so war es letztlich gerechtfertigt. Die 1967 in Scuol geborene Romana Ganzoni hat die Jury vor allem durch die Art ihres Vortrags enttäuscht: Die Erzählung „Ignis Cool“ handelt von einer Frau, die auf einem Pass in den Bergen ihrem Leben ein Ende setzen will: Die Geschichte hat Potential, für Burkhard Spinnen aber hat die Autorin „ihre Figur so kaputt gemacht, wie man das nur machen kann“.
Etwas wie Siegerqualitäten
Nach dem etwas schläfrigen Auftakt des Jury-Ungeheuers, das seine wilden Zähne am ersten Tag so gar nicht zeigen wollte, gab es sich am zweiten Tag dafür umso kämpferischer. Die Angriffe richteten sich dabei nicht nur gegen Autoren, die den Juroren missfielen, sondern mitunter wurde auch untereinander mit harten Bandagen gekämpft. Hoch her ging es etwa bei Anne-Kathrin Heiers offen gehaltener Erzählung „Ichthys“. Darin unternimmt die frühere Verlagslektorin den Versuch, ein rätselhaftes Ich auf dem Weg durch eine Großstadt, durch den Drogenrausch und durch Albtraumfantasien als Serientäter zu begleiten.
Was für Burkard Spinnen klingt, wie man im einundzwanzigsten Jahrhundert erzählt, sprach Hildegard Keller ab, überhaupt Literatur zu sein: „Das tut dem Bewerb nicht gut, so einen schwachen Text hier anzubieten“, sagte die Zürcher Literaturwissenschaftlerin – und lag damit dramatisch falsch. Denn „Ichthys“ hat als einer der wenigen Texte bislang so etwas wie Siegerqualitäten erkennen lassen.