Marthe Keller wird 80 : Geh, damit du keine Drogen ablehnen musst
Die Umstände, unter denen sie berühmt wurde, waren merkwürdig. Den Vertrag für den Film „Marathon Man“ hatte man ihr hingelegt, ein Vorsprechen gab es nicht. Vor den Dreharbeiten wurde vier Wochen lang in New York geprobt. Marthe Keller mangelte es an Englischkenntnissen, aber das blieb unbemerkt, denn im Film spielte die in Basel Geborene eine Deutsche, und außerdem war Dustin Hoffman eine „avalanche des mots“, eine Wortlawine. Sie sei also ohnehin kaum dazu gekommen, etwas zu sagen. Die Produktion vernachlässigte Keller, die gekränkt hinwerfen wollte, woraufhin sie mit Freundlichkeiten überschüttet wurde und blieb. In Los Angeles trifft sie die Weltstars des Kinos, wird aber vor Ende einer Party gebeten, bitte zu gehen. Weshalb? John Schlesinger, der Regisseur erklärt ihr die Geste des Respekts: „Damit du keine Drogen ablehnen musst.“
In ihren witzigen, anrührenden und noch unübersetzten Memoiren, „Les Scénes de ma vie“, schildert Marthe Keller, wie schwierig es für sie, die ausgebildete Tänzerin, war, in die Schauspielerei hineinzufinden. Ein Skiunfall beendete die geplante Ballettkarriere, sie spielt Theater in Heidelberg und Berlin. Zuvor hörte sie in Frankfurt Philosophie bei Adorno. Dann ging es recht schnell. 1969 spielt sie mit Yves Montand und Maria Schell ein lustiges Mädchen in der Komödie „Le diable par la queue“ (Den Teufel am Schwanz packen, auf Deutsch wurde aus dem Teufel merkwürdigerweise ein Tiger). Es folgen Filme mit Annie Girardot, Philippe Noiret und Maurice Ronet.
Der „Marathon Man“ von 1976 öffnet ihr Hollywood. Auch für „Schwarzer Sonntag“ von John Frankenheimer im Jahr darauf wird sie nicht gecastet, sondern nur gefragt, ob sich vorstellen kann, in dem Film über einen palästinensischen Anschlagsversuch auf den Super Bowl im Stadion der Miami Dolphins mitzuspielen. Nicht vorsprechen zu müssen, bleibt eine Konstante ihres Filmlebens, die sich dadurch erklärt, dass ihre Erscheinung auf den ersten Blick einleuchtete: eine vergleichsweise tiefe Stimme, schlanke Boshaftigkeit, Silhouette in Hosen – „Du siehst von vorne und hinten gleich aus“, bemerkte ihre bissige Mutter über die Nacktszene im „Marathon Man“, „sulfureuse“, wie Keller sich ausdrückt, schwefelig.
Als Alterlose Diva in Billy Wilders „Fedora“
Folgerichtig war sie 1978 in Billy Wilders „Fedora“ eine zurückgezogene, alterslose Diva, die Züge von Greta Garbo, Marlene Dietrich und Corinne Griffith trägt. Mit „Bobby Deerfield“ hatte sie ein Jahr zuvor in einem ihrer traurigsten Filme eine lebenshungrige Frau gespielt, die ihre Liebe zu einem melancholischen Rennfahrer, wie Dominik Graf in dieser Zeitung formulierte, „ebenso abrupt an- wie ausknipst“. Mit dem Darsteller Deerfields, Al Pacino, lebte Keller sieben Jahre zusammen.
Es folgten viele Filme, sehr viele Auftritte auch in Fernsehserien und am Theater. Die Nebenrollen nahmen zu; viele Mütter, Freundinnen, Psychologinnen, frühere Verlobte. Sie spielte sie alle nobel, ohne sich vorzudrängen, als sei sie ganz zufrieden, nicht mehr in Hauptrollen auftreten zu müssen. Von 1983 bis 1986 gab sie im Salzburger „Jedermann“ die Buhlschaft an der Seite von Klaus Maria Brandauer, mit dem sie danach auch „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ über das erfolglose Attentat von 1939 auf Adolf Hitler drehte.
Später inszeniert sie Opern, etwa „Don Giovanni“ an der Met, die „Dialoge der Karmelitinnen“ in Straßburg, „Lucia di Lammermoor“ in Washington. Zwei glänzende Filme aus jüngster Zeit, „Schwesterlein“ als Rabenmutter von Nina Hoss und Lars Eidinger sowie „Wanda, mein Wunder“ mit der wahrhaft wundervollen Agnieszka Grochowska, fielen unglücklicherweise in die Zeit der coronabedingten Kinoschließungen.
Noch im vergangenen Jahr kam ein Film mit Marthe Keller in die Kinos, „One Life“ über den englischen Organisator der „Kinderzüge“ aus der von Deutschen besetzten Tschechoslowakei, Nicholas Winton. Hier spielt sie in einer kurzen Szene die Gattin des tschechisch-britischen Verlegers Robert Maxwell. Sie lässt also auch nach sechzig Jahren Filmschauspielerei nicht los. Heute wird die kluge und schöne Marthe Keller achtzig Jahre alt.