Nach Aufsichtsratssitzung :
Die Documenta-Kunst bleibt unkontrolliert

Stefan Trinks
Ein Kommentar von Stefan Trinks
Lesezeit: 2 Min.
Nur ein Stein des antisemitischen Anstoßes, der auf der Documenta 15 entsetzte: Ein Wimmelbild wie Taring Padis Banner „People’s Justice“ wird durch eine allgemein gehaltene öffentliche Konferenz der künftigen künstlerischen Leitung im Vorfeld der nächsten Documenta kaum vorherzusehen sein.
Steht etwas mehr Kontrolle wirklich der Kunstfreiheit entgegen? Der Documenta-Aufsichtsrat hat sich jedenfalls in seiner entscheidenden Sitzung gegen einen verbindlichen Code of Conduct für die künftige künstlerische Leitung ausgesprochen.
Merken
Zur App

Der Berg kreißte mächtig seit vorigem Jahr und gebar nun: eine öffentliche Konferenz mit Selbstverpflichtung. Im Kern ging es bei der Sitzung des Documenta-Aufsichtsrats Dienstagabend um Kunstfreiheit versus mehr Kontrolle, um antisemitische Positionen auf der 2027 anstehenden Ausgabe der Weltkunstschau zu vereiteln. Der Abschlussbericht der METRUM-Managementberatung hatte Ende 2023 dringend einen Verhaltenskodex („Code of Conduct“) für die künstlerische Leitung wie für die Trägergesellschaft der Documenta, die Museum Fridericianum gGmbH, empfohlen. Ein solcher wird nun aber nur der Trägergesellschaft auferlegt. Die künstlerische Leitung bleibt frei davon, sie soll stattdessen in einer öffentlichen Veranstaltung im Vorfeld der Documenta ihr Konzept vorstellen und darlegen, wie sie die Achtung der Menschenwürde unter Wahrung der grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit auf der von ihr kuratierten Ausstellung gewährleisten will. Dies soll nun ein wirksames Mittel „zum Schutz künstlerischer Freiheit und zum Schutz gegen menschenfeindliche Diskriminierung und Antisemitismus“ sein. Auch der im Aufsichtsrat sitzende hessische Kulturminister Timon Gremmels nannte dieses öffentliche Bekenntnis „das passende In­strument“, um antisemitische Kunstäußerungen zu vermeiden.

Die Frage bleibt aber, ob es mehr als ein Lippenbekenntnis sein kann, da bei dieser Konferenz im Vorfeld das tatsächliche Erscheinungsbild der Kunstwerke noch nicht annähernd feststehen wird. Mit dem Kompromiss will der Kasseler Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende Sven Schoeller von den Grünen offenbar Kritikern entgegenkommen, die eine zu starke Einschränkung der Kunstfreiheit befürchteten und Tausende von Unterschriften gegen verbindliche Verpflichtungen gesammelt hatten. Auch bereits seit Monaten trommelt etwa Schoellers Vorgänger im Kasseler Oberbürgermeisteramt Hans Eichel auf allen Kanälen, er wolle – in Umkehrung des kippenbergerschen Bildtitels – bei bestem Können kein Hakenkreuz erkennen, den SS-Runen, Schläfenlöckchen und Hakennasen auf dem Banner Taring Padis und einem halben Dutzend weiterer Antisemitismen in der vorigen Documenta zum Trotz, und fürchte um die Freiheit der Kunst.

Zwei gute Nachrichten immerhin gibt es: Als weiteres Kontrollorgan soll ein wissenschaftlicher Beirat aus sechs Personen die Documenta beratend begleiten und wo nötig berichtigen, damit nicht abermals ahistorische Schutzbehauptungen durchschlüpfen im Stile jener von Ruangrupa, die indonesischen Antisemitismen seien von niederländischen Kolonisatoren eingeschleppt worden. Ebenfalls positiv ist die Nachricht, der Bund werde seine zwei ihm zustehenden Aufsichtsratssitze künftig wieder besetzen. Vielleicht wirken alle gemeinsam doch noch darauf hin, dass die öffentliche Absichtserklärung konkret ausfällt.

  翻译: