Verfemter Maler Chaïm Soutine :
Makabre Schlachtplatten für die Augen

Von Georg Imdahl
Lesezeit: 4 Min.
Auch Häuser können trauern: Chaïm Soutines bewegtes „Les Maisons“ von 1920/21
Ohne ihn sind Francis Bacon und Alice Neel kaum denkbar: Die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen widmet dem unbekanntesten Klassiker der Moderne Chaïm Soutine eine fesselnde Werkschau.

Hat man schon mal so traurige Heringe gesehen? Zur Mahlzeit liegen sie auf dem Teller bereit, aber sind sie wirklich tot? Oder sehen sie nicht vielmehr verschreckt ihrer eigenen Verspeisung ins Auge? Mager, wie sie sich winden, versprechen sie keine üppige Kost, aber zwei spindeldürre Gabeln mit befremdlich lebendigen Zinken werden sich sogleich an ihnen zu schaffen machen. Einige Fasane sind aufgebahrt wie auf einem Leichentuch; die Gans mit abgezogenem Federkleid baumelt, regelrecht gehenkt, an einem Balken im Dunkel. Dann hängt da ein gepeinigter Rochen mit entweichendem Gedärm – all dies Bilder, die zwiespältige Empathie hervorrufen: virtuose Malerei als makabre Schlachtplatte für das Auge. So auch ein blutiger Ochse in kapitalem Format, gegeben in einem brutalistisch-eruptiven Gestus, der in der Pariser Kunst um 1925 seinesgleichen sucht. Eine Violine zwischen Baguette und Fisch weist skelettöse Züge mit elegisch gewundenem Hals auf, als sollten wir selbst unzweifelhaft leblosen Gegenständen unser Mitgefühl schenken.

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