Legendäres Thatcher-Interview : „Wir zeigen keine Schwäche“
Als Westminster Anfang September 1989 nach der Sommerpause wieder in Gang kam, war es eine der ersten Taten von Margaret Thatchers treuem Pressesprecher Bernard Ingham, für Ende Oktober ein 45 Minuten langes Fernsehinterview mit Brian Walden zu arrangieren. Die Premierministerin hatte ein besonderes Verhältnis zu dem ehemaligen Labour-Abgeordneten, der seine politische Karriere 1977 wegen des Linkskurses seiner Partei aufgegeben hatte, um eine neue Laufbahn als Interviewer beim Sender ITV einzuschlagen. Dort profilierte er sich als forensischer Befrager im langformatigen Gespräch. Walden galt als Meister der Form, deren Niedergang im Zeitalter der mundgerechten Zitate für die sozialen Netzwerke schon lange beklagt wird.
Brian Walden war der von Margaret Thatcher bevorzugte Interviewer, nicht weil sie ihn für hörig hielt, obwohl Kritiker ihm vorhielten, sich vor ihr so tief zu beugen wie ein Fußpfleger. Sie schätzte ihn, weil er frei war vom linksliberalen Affekt, der sie bei der BBC aufbrachte. Von ihm fühlte sie sich nicht herablassend behandelt. Das Verhältnis beruhte auf gemeinsamen politischen Werten und gegenseitigem Respekt. Die beiden verband nicht nur die Herkunft aus Mittelengland, sondern auch, dass sie es aus staatlichen Gymnasien geschafft hatten, Stipendien nach Oxford zu erlangen und im Berufsleben die Klassenschranken zu überwinden. Walden kam als Sohn eines vielfach arbeitslosen Glasers aus einfacheren Verhältnissen als die kleinbürgerliche Krämerstochter; es einte sie das Gefühl, Außenseiter in einer Elite zu sein.
Gelegenheit, die Erfolge der Regierung ruhig darzustellen
Obwohl er Labour und sie Konservative war, bewunderte Walden den Mut von Margaret Thatchers Vision und ihre Entschlossenheit, die Gewerkschaften zu bändigen. Er begrüßte ihre Mission, den Wettbewerb zu beflügeln, die persönliche Freiheit zu stärken und die Abhängigkeit vom Wohlfahrtsstaat zu lösen. Walden glaubte, dass Thatcher die Arbeiter besser verstand als die Labour Party. Wie sie unterschied er zwischen einer fairen Gesellschaft und einer gleichen Gesellschaft. Er bekundete, nicht unbedingt Thatchers England verteidigen, sondern die Vorstellung zerstören zu wollen, „dass der Staat dem Individuum Lebensglück erteilen kann, dass Politik aus der Begutachtung miteinander konkurrierender Glückslose besteht“. Ihm ging es um die Handlungsfähigkeit des Einzelnen. Das mache ihn nicht zum Tory, beteuerte er. Den Sprung würde er nie schaffen.
Mit Margaret Thatcher hatte Walden 1977 sein Debüt bei ITV gemacht. Damals war sie noch Oppositionsführerin. Sein letztes Gespräch mit ihr war jenes, das Ingham im September 1989 vereinbarte. Zwei Tage vor dem Aufnahmetermin hatte ihr Finanzminister Nigel Lawson sie mit seinem Rücktritt in eine Krise gestürzt, von der sie sich nicht erholte. Wie aus einer Aktennotiz von Ingham hervorgeht, war vorgesehen, dass Walden auf das heikle wirtschaftliche Szenario und ihren eigenwilligen Führungsstil fokussiere. Walden wolle wissen, ob sie müde sei, „verrückt werde“ oder zuhöre. Ingham redete Thatcher zu, dass sie das Interview als Gelegenheit betrachten solle, die Erfolge der Regierung ruhig darzulegen. Es sei „unwahrscheinlich, dass sie einen wohlwollenderen Interviewer finden würden als Brian Walden“.
Der Rücktritt Lawsons am Tag nachdem diese Notiz verfasst wurde, gab dem Ganzen freilich eine brisante Dimension. Im Nachhinein hat sich die Wahrnehmung durchgesetzt, Waldens „explosives Interview“ habe die Kette von Ereignissen losgetreten, die dreizehn Monate später zum Sturz der Premierministerin führte. Damit wirbt der Channel 4 auch für den Zweiteiler „Brian and Maggie“, den er am Mittwoch und Donnerstag ausstrahlt. Regie führt Stephen Frears, der in „The Queen“ die Wirkung der modernen Mediengesellschaft auf die Protagonisten einfühlsam beleuchtet hat. Das Drehbuch von „Brian and Maggie“ stammt vom Dramatiker James Graham nach der Vorlage des Buchs „Why is this lying bastard lying to me“.
Ähnlich wie Peter Morgan in „The Queen“ und der Serie „The Crown“ hat Graham in Bühnenstücken und Fernsehfilmen wie „Brexit: The Uncivil War“ und jüngst dem Schauspiel „Dear England“ über Gareth Southgate, den früheren Trainer der Fußballnationalmannschaft, die Fähigkeit an den Tag gelegt, persönliche und nationale Befindlichkeiten in dramatischen Momenten des Zeitgeschehens auf den Punkt zu bringen. Weder Steve Coogan noch Harriet Walter sehen Walden und Thatcher ähnlich. Coogan hat es leichter, zumal er als Stimmenimitator des frettchenhaften Interviewers, der das R nicht rollen konnte und mit Birminghamer Akzent sprach, in der satirischen Sendung „Spitting Image“ bereits geübt hat.
Zu den Hindernissen, die Walter überwinden muss, gehört, dass sie erkennbare zehn Jahre älter ist, als die Premierministerin zum Zeitpunkt dieses Interviews. Umso bemerkenswerter, wie sich Walter mit aufgebauschter Perücke und künstlichem Gebiss trotz persönlicher Abneigung gegen Thatcher in sie hineinversetzt, nicht nur Gestik, Mimik und Sprechweise erfasst, sondern auch die Verletzbarkeit hinter der eisernen Fassade. Mitunter zoomt die Kamera auf das durch die Nähe gnadenlos verzerrte Gesicht, wie zum Beweis der von Walden vorgebrachten Behauptung ihrer Kritiker, die Premierministerin sei verrückt geworden. Manchmal bekommt sie karikaturhafte Züge. Als Walden sie fragt, ob sie einen der „anderen Architekten des Thatcherismus“ als möglichen Nachfolger sehe, fixiert sie ihn mit stechendem Blick und faucht, „die anderen?“, bevor sie darauf hinweist, der Name sage doch alles.
Walden setzte seine journalistische Integrität aufs Spiel
„Brian and Maggie“ porträtiert zwei komplizierte und reservierte Figuren, die über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren eine auf Sympathie und gemeinsamen Überzeugungen basierende Partnerschaft zum gegenseitigen Nutzen eingehen. Zugleich will die Serie vor dem Hintergrund der großen politischen Auseinandersetzung um Europa und die Geldpolitik veranschaulichen, wie Margaret Thatchers Autorität im intensiven Kreuzverhör vor den Augen der Nation bröckelte. Darüber hinaus ist es ein Plädoyer für das Interview-Format als wichtiges Element der Demokratie.
Faszinierend ist, wie die Serie erstmals klarmacht, in welchem Ausmaß Walden seine journalistische Integrität aufs Spiel setzte, indem er der Premierministerin etwa heimlich half, ihre Botschaft in der letzten parteipolitischen Werbung vor der Wahl von 1983 schlagkräftiger zu vermitteln. Vor dem letzten Interview hatte er einem Thatcher-Vertrauten die Fragen zugesteckt. Im Film schreibt er sie auf einen Bierdeckel, den er Bernard Ingham überreicht. Aus den Akten geht jedoch hervor, dass Ingham sich ausführlich mit dem Interviewer über seine Fragestellung unterhalten hat, um seine Chefin ins Bild setzen zu können. Ihr Biograph Charles Moore notiert den regelwidrigen Tipp an den Vertrauten, befindet jedoch, dass Walden ein guter Interviewer und kein Thatcher-Höfling gewesen sei. Die Premierministerin war derart verärgert, dass sie nie wieder mit Walden sprach. Dass das Interview ihren Sturz beschleunigte oder auslöste, lässt sich anhand der damaligen Reaktionen nicht bestätigen. Der Prozess war längst im Gange.
Harriet Walter wirft dolchartige Blicke, zieht die Augen zusammen und zuckt, als habe sie eine Frage physisch getroffen, richtet sich dann aber immer wieder auf, wie ein Boxer im Ring. Als sie zwischendurch auf die Toilette flüchtet, fragt der Produzent Walden, warum sie keine Einsicht zeigen könne. Nach längerer Pause erwidert Walden: „Weil man uns das so beigebracht hat. Man würde Menschen wie uns nicht reinlassen, wenn wir Schwäche zeigten.“ In Vignetten wie dieser offenbart Theater, was die Wirklichkeit mitunter verschleiert.