Geruchsterror : Das Mega-Parfum
Glücklich all jene, die nicht Tag für Tag in überfüllten Pendlerzügen sitzen. Glücklich auch die, die über keine empfindliche Nase verfügen, wobei sich Letztere – der menschlichen Natur sei es gedankt – im Grunde recht schnell an muffige Standardgerüche gewöhnt, wie sie in öffentlichen Verkehrsmitteln vorherrschen. Liegt auf der Pendlerstrecke ein Großflughafen, wird das Riechorgan regelmäßig herausgefordert. Fremdartige Aromen von Duftwässern, Weichspülern und Kau-Waren aller Art wehen einem um die Nase, verziehen sich aber recht bald wieder.
Fast fehlten sie einem in der Corona-Zeit, in der man neben dem eigenen Atem nur noch die alles durchdringenden Gerüche von Desinfektionsmitteln wahrnahm. So war es zunächst kaum zu bemerken, dass sich in der Übergangszeit zur maskenlosen Normalität ein neuer Duft in Deutschland ausbreitete, einer, den man zunächst mit einem besonders penetranten Desinfektionsmittel verwechseln konnte. Misstrauen hätte wecken können, dass er im Abteil nicht verflog, der Hauch von Chemieunglück nahm über die Wochen und Monate hinweg sogar noch zu und schien in der Bahn vor allem an jungen Männern zu haften.
Bis dann eines Tages der eigene Sohn mit diesem Geruch nach Hause kam und ihn nicht auf ein Desinfektionsmittel, sondern das sündhaft teure Parfum (145 Euro für 50 ml) eines Freundes zurückführte: Megamare von Orto Parisi, das stärkste Parfum der Welt. Er finde es nicht schlecht, sagte er, wurde aber zum Kleidungswechsel des Zimmers verwiesen. Als er es wieder betrat, war der Geruch, der offenbar auch seinen Hals in Mitleidenschaft gezogen hatte, noch immer da. Das kontaminierte Hemd wurde gewaschen, doch es roch auch nach der zweiten und dritten Wäsche noch nach in Plutonium gelösten Algen.
Das Ende von Duft
Der Sohn hatte sich unterdessen von Megamare, das echtes Ambra, ein Ausscheidungsprodukt des Wals, enthalte, distanziert. Auch andernorts hatte es schon für Wirbel gesorgt: in erstaunlich hochfrequentierten Internetforen, die neue Düfte wie Sterne-Menüs analysieren. Einer verglich es mit einem Salzbergwerk, ein anderer mit der auf dem Meeresboden vor sich hin rostenden Titanic, ein Dritter nannte es die „geruchgewordene Hölle“. Von Fluchten und Spießrutenläufen im öffentlichen Raum wurde berichtet. Der meistkommentierte Beitrag auf Parfumo.de brachte es auf den Punkt: Megamare sei „das Ende von Duft“.
Wir hätten das Thema trotz allem nicht weiter an die große Glocke gehängt, alles weht vorüber, wenn nicht kürzlich in Spanien in einem toten Pottwal ein fast zehn Kilo schwerer Brocken Ambra gefunden worden wäre. Davon ist nun eine klare Handlungsanweisung abzuleiten: Alle Riechenden mögen jetzt ihre Stimme erheben – Orto Parisi und sein Mastermind Alessandro Gualtieri dürfen unter keinen Umständen in den Besitz dieses Ambra-Klumpens gelangen. Sonst geraten nicht nur das 49-Euro-Ticket und die Anti-Homeoffice-Bewegung, sondern zuletzt auch der gesamte öffentliche Friede in Gefahr.