Germanwings-Absturz : Schlagseite
Ob man mit etwas Abstand die Diskussion um die Frage noch verstehen wird, ob man den Namen des Piloten, der am 24. März dieses Jahres 149 Menschen und sich selbst in den Tod geflogen hat, nennen darf? Distanzierte Beobachter verstehen sie schon jetzt nicht mehr oder suchen nach Erklärungen, die diejenigen, die meinen, es sei geboten, den Namen Andreas Lubitz nicht zu nennen, oder geradezu verboten, ihn zu nennen, zu denken geben sollten.
Drei Gründe haben Kommentatoren der „New York Times“ und der „Washington Post“ für die erstaunlichen Reaktionen in diesem Land ausgemacht: ein Urvertrauen in technische Vorkehrungen, das sich auch durch eine solche Tat nicht erschüttern lassen will; ein verabsolutiertes Hüten der Privatsphäre und ein Zurückschrecken vor einer Wahrheit, die da lautet, dass jemand den Tod von 149 Menschen willentlich herbeigeführt hat. So lässt sich die Reaktion auf die Berichterstattung über den Absturz der Germanwings-Maschine durchaus erklären, die mit sachlicher Medienkritik nichts mehr zu tun hat. Denn bei der Meinungsbildung gerade im Internet wurden die Auswüchse des Boulevardjournalismus und haltlose Spekulationen, die es mit Recht zu kritisieren gilt, mit der selbstverständlichen Aufgabe der Presse kurzgeschlossen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Der Reflex lautete: Müssen wir das alles wissen? Das reicht doch jetzt. Es reichte aber nicht, sich damit zu begnügen, dass ein namenloser Kopilot ein Flugzeug zum Absturz brachte und man dies nicht hätte verhindern können. Dass er psychische Probleme gehabt habe und dies alles eine einzige Tragödie sei. Hier geht es nicht um einen schicksalhaften, unausweichlichen Konflikt, sondern um Fragen, die Journalisten stellen müssen, wenn sie ihren Beruf ernst nehmen. Das waren und sind Fragen nach dem Hintergrund des Kopiloten, nach seiner Eignung, seiner Krankheitsgeschichte, nach den Informationen, welche die Luftlinie und die Luftaufsicht hatten, nicht hatten und hätten haben müssen, und an welchen Sicherheitsvorkehrungen es gemangelt hat. Dass es an diesen mangelte, konnte man erkennen, als die Lufthansa und andere deutsche Airlines drei Tage nach dem Absturz die Zwei-Personen-Regel für das Cockpit einführten, die in den Vereinigten Staaten Standard ist.
Es sind quälende Fragen, die sich stellen und die man garantiert nicht beantwortet bekommt, wenn man sich nur auf die Behörden und in diesem Fall das betroffene Unternehmen verlässt und immer schön auf eine amtliche Auskunft wartet. Eine berechtigte Was-wäre-wenn-Frage ist, wie sich die Geschichte entwickelt hätte, wäre die „New York Times“ nicht mit der Information herausgekommen, dass der Kopilot den Flug 4U9525 gezielt zum Absturz brachte, noch bevor der Staatsanwalt sich dazu äußerte. Ob wir dann über Andreas Lubitz und seine Tat wüssten, was wir heute wissen? Wären die vermeintlichen Medienkritiker, die in Wahrheit Verdrängungskünstler sind, zufriedener?