Möglicher Abrechnungsbetrug :
Beim Apotheken-Abrechner ARZ Haan ist nun der Staatsanwalt am Zug

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Firmensitz der ARZ Haan in Haan im Bergischen Land

Die Kripo Dortmund hat die erste Runde an Zeugenbefragungen abgeschlossen. Wurden im Abrechnungszentrum ARZ/RZH Rechnungen fingiert und umgeschrieben? Auch die Finanzaufsicht Bafin und der Wirtschaftsprüfer Mazars sind gefragt.

Im Ermittlungsverfahren rund um einen möglichen Betrug im gesundheitswirtschaftlichen Abrechnungsdienst ARZ Haan in zweistelliger Millionenhöhe hat die Dortmunder Kriminalpolizei nach Informationen der F.A.Z. die erste Runde an Zeugenbefragungen durchgeführt. Die dabei festgestellten Beweise hat die Polizei im Dezember 2024 der Staatsanwaltschaft Dortmund vorgelegt. Sie muss nun entscheiden: Wird Anklage erhoben, das Ermittlungsverfahren eingestellt, oder sollen weitere Zeugen vernommen werden?

Die Finanzaufsicht Bafin, die Hinweise erhielt, dass in der ARZ-Tochtergesellschaft RZH Rechnungen insbesondere rund um den Jahreswechsel 2021/22 umgeschrieben worden seien, blieb dagegen bislang von außen betrachtet untätig. Die Bafin ist zuständig, weil es sich bei RZH um ein Factoring-Unternehmen handelt. Bis Dezember 2024 gab es nach Kenntnis der F.A.Z. keinen größeren Austausch zwischen der im Auftrag der Staatsanwaltschaft ermittelnden Dortmunder Kriminalpolizei und der Bafin. Weder die Finanzaufsicht noch der zuständige Kriminalkommissar wollten sich gegenüber der F.A.Z. zum Ermittlungsverfahren rund um ARZ/RZH äußern.

Was bisher geschah

Im November 2023 hatte die F.A.Z. erstmals berichtet, dass die Factoring-Gesellschaft RZH mit Scheinrechnungen rund um Corona-Tests womöglich sogar von eigenen Mitarbeitern geschädigt worden sei. Dies wird zumindest in der im Juni 2023 von einem ehemaligen WDS-Geschäftsführer gegen einen WDS-Geschäftsführerkollegen und gegen Dritte gestellten Strafanzeige mit Verweis auf zahlreiche Belege behauptet. Die verdächtigen Rechnungen hat demnach der Kunde WDS im Rechenzentrum für Heilberufe (RZH) eingereicht, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der ARZ Haan.

RZH zahlte die Rechnungen an WDS aus, trieb sie aber laut Strafanzeige bei den angeblichen Lieferanten von WDS nicht ein. Der Verdacht lautet nun: Es handelte sich um Scheinrechnungen, denn RZH soll das Geld ausgezahlt haben, ohne dass die Rechnungen wie üblich mit Kundenverträgen, Angeboten, Auftragsbestätigungen oder Lieferscheinen belegt werden mussten. Die Auszahlungen sollen oft via Chat-Zuruf und nicht selten per Eilüberweisung getätigt worden sein – so zumindest legen es die Unterlagen aus der Strafanzeige nahe, die von der F.A.Z. eingesehen werden konnten.

Infografik So lief der mutmaßliche Betrug ab
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Die vor gut 50 Jahren als Apotheken-Abrechnungs-Zentrum gegründete, heute 30 Berufungsgruppen im Gesundheitswesen bedienende ARZ Haan bestreitet alle Vorwürfe oder will dazu keinen Kommentar abgeben. Von der F.A.Z. wurde sie am 30. Dezember 2024 abermals konfrontiert mit der Frage, ob Mitarbeiter der ARZ Haan beziehungsweise ihrer Tochtergesellschaft RZH dem später insolventen Kunden WDS dergestalt Hilfe angeboten hätten, dass WDS Scheinrechnungen einreichen konnte, um Corona-Tests finanzieren zu können. Darauf reagierte ARZ bis Redaktionsschluss am 2. Januar nicht.

Im Oktober 2023 hieß es von ARZ zum Angebot an WDS, Scheinrechnungen einzureichen: „Nach unserer Kenntnis: nein. Dazu liegen uns keinerlei Hinweise vor.“ Dieses Statement ist insofern erstaunlich, als ARZ selbst schon im September 2022 eine Sonderuntersuchung durch den Wirtschaftsprüfer PWC angestoßen hat. Nach Angaben von PWC ging die Initiative von ARZ von diesem Beweggrund aus: „Hintergrund der Beauftragung waren Unregelmäßigkeiten in der Abwicklung von Aufträgen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Covid-19-Tests mit dem Geschäftspartner WDS GmbH.“

Die Ergebnisse der Sonderuntersuchung, die streng vertraulich nur an die Gläubigerbanken von ARZ gingen (Apotheker- und Ärztebank, DZ Bank, Nord LB, einige Sparkassen) und von der die F.A.Z. erst nach ihrer ersten Berichterstattung Kenntnis bekam, bestätigen Missstände, Verstöße gegen Regeln (Compliance) und belasten auch eigene ARZ- und RZH-Mitarbeiter. PWC hat im Auftrag von ARZ 334 Dokumente untersucht, Daten auf Mobiltelefonen von zwei Beteiligten und die E-Mail-Accounts von vier Beteiligten durchforstet und vier Interviews und zwei Folgegespräche geführt. PWC stellte laut Präsentation der Gläubigerbanken fest, dass „Rechnungen erstellt, jedoch nicht sofort versandt und Mahnläufe ausgesetzt worden“ waren.

Wie die F.A.Z. zuvor berichtete, hatten sich zum Zeitpunkt der Insolvenz der WDS im September 2022 gegenüber der RZH über 17 Monate hinweg Forderungen von gut 15 Millionen Euro aufgetürmt. Interne Kontrollmaßnahmen in der ARZ seien „nicht eingehalten“ worden, „meldepflichtige Kredite nicht bei der zuständigen Behörde gemeldet worden“, schreibt PWC. Dies könnte daran liegen, dass RZH als Factoring-Gesellschaft möglicherweise nicht über die Lizenz verfügt, Kredite vergeben zu dürfen. Dies könnte die rund 2900 Mitarbeiter beschäftigende Bafin veranlassen, gegebenenfalls Maßnahmen gegen ARZ/RZH zu verhängen. Doch bisher hat die Bafin dies nicht getan.

Auf den Plan rufen könnten die Finanzaufsicht auch Hinweise darauf, dass der damalige Finanzvorstand der ARZ Haan möglicherweise über Vertraute in der RZH der WDS half, Rechnungen zu fingieren und später umzuschreiben, damit diese im Jahresabschluss 2021 nicht auftauchten beziehungsweise als uneinbringlich wertberichtigt werden mussten. Der frühere ARZ-Finanzvorstand, der kurz vor Weihnachten 2022 ausschied, bestritt gegenüber der F.A.Z. im Januar 2024, dass er mit Vertrauten in der RZH Rechnungen habe umschreiben lassen.

Ansatzpunkte für die Bafin

PWC berichtet als ein Ergebnis der Sonderuntersuchung, dass sich dieser frühere AZR-Finanzvorstand im September 2022 mit dem nun beschuldigten WDS-Geschäftsführer getroffen habe, ohne die Geschäftsführung der, vor allem mit WDS interagierenden, Tochtergesellschaft RZH einzubinden. Diese Treffen könnten Fragen aufwerfen nach ordnungsgemäßer Geschäftsführung im ARZ-Konzern. Doch die Zuständigen in der Bafin für Hinweise zum möglichen Betrugsfall RZH haben seit deren Eingabe im Sommer 2023 mehrfach gewechselt – möglicherweise ein Grund, warum die Aufsicht noch nicht tätig wurde.

Allerdings sah sich auch der Wirtschaftsprüfer der ARZ Haan, Forvis Mazars , nicht veranlasst, die Bilanzen des Abrechnungszentrums zu korrigieren oder ihr Testat zurückzuziehen. Dabei darf man davon ausgehen, dass Mazars die Sonderuntersuchung von PWC und die Berichterstattung der F.A.Z. kennt und insofern intern intensiv geprüft haben dürfte, ob man möglicherweise seit 2021 Bilanzen mit fingierten Rechnungen testiert hat. Mazars wollte Fragen der F.A.Z., etwa ob der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft der „Sachverhalt fingierte Rechnungen“ bei Erteilung des Testats für den Jahresabschluss 2021 bekannt war und welche Konsequenzen für die Bilanzen von 2021 an zu ziehen seien, mit Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht von Wirtschaftsprüfern nicht beantworten.

Tatsächlich wird es schwierig sein zu belegen, dass mögliche Compliance-Verstöße von RZH und WDS strafrechtlich relevant sind. PWC konnte trotz aller Kritik an der ARZ Haan in der Sonderuntersuchung nur feststellen: „Ein Beleg über die Kenntnis von möglichen fiktiven Abrechnungen seitens der involvierten Personen geht aus dem analysierten Datenbestand nicht hervor.“ Ob die Staatsanwaltschaft Dortmund diesen Beleg in ihrem Ermittlungsverfahren wird erbringen können, ist trotz inzwischen weiterer sichergestellter Unterlagen und der zum Teil belastenden Zeugenaussagen offen.

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