Komiker Emil Steinberger :
„Sollen die Deutschen doch über uns Schweizer lachen“

Lesezeit: 7 Min.
„Wir Schweizer sind Tüpflischiesser, auf Hochdeutsch: Korinthenkacker“, sagt  Steinberger.
Emil Steinberger ist der Lieblings-Schweizer der Deutschen. Dabei sollte der 92 Jahre alte Komiker einst Postbeamter werden. Ein Gespräch über deutsche Schwächen, Schweizer Minderwertigkeitskomplexe und Auftritte in der DDR.
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Herr Steinberger, wie blicken die Schweizer auf die Deutschen?

Wir wundern uns darüber, dass so ein großes Land mit so vielen fleißigen Menschen manche Dinge nicht richtig hinbekommt, zum Beispiel den Bahnverkehr. Außerdem sind die Klarheit und vielleicht auch Härte im Umgang miteinander für uns ungewohnt; wir sind ja sehr harmoniebedürftig. Zugleich haben wir einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Deutschen. Das liegt an der Sprache. Aus dem Dialekt ins Hochdeutsche zu wechseln ist für uns sehr mühsam und anstrengend.

Umgekehrt lieben die Deutschen die Schweizer – dank Ihnen, wie bei einer Preisverleihung in Deutschland ein Laudator an Sie gerichtet einst gesagt hat. Stimmt das?

Mir hat ein Schweizer Geschäftsmann einmal geschrieben, dass er bei Verkaufsgesprächen in Deutschland oft gesagt bekommt: „Sie reden ja wie Emil!“ Dann antworte er Ja, und er kenne Emil sogar. Danach seien die weiteren Verhandlungen meist ganz wunderbar verlaufen.

Die Figuren in Ihren Sketchen wirken bescheiden, unbeholfen und liebenswert, man könnte auch sagen possierlich. So wollen die Schweizer aber doch von den Deutschen gewiss nicht wahrgenommen werden, oder?

Ein Schweizer Botschafter in Deutschland hat mich mal schwer beschimpft. Er warf mir vor, den Schweizer falsch darzustellen. Ich finde: Sollen die Deutschen doch über uns lachen. Damit lassen sich Schranken viel besser überwinden als mit harten Diskussionen.

Was macht die Schweiz aus? Emil Steinberger hat da einen durchaus kritischen Blick.
Was macht die Schweiz aus? Emil Steinberger hat da einen durchaus kritischen Blick.dpa
Sie haben dem helvetischen Spießer einen Spiegel vorgehalten. Hat das etwas bewirkt?

Ich möchte von mir nicht behaupten, dass ich Menschen verändere. Und selbst wenn es so wäre, ließe es sich statistisch nicht belegen. Aber Zuschauer haben mir erzählt, dass sie so manche Situation in ihrem Leben schon als typische „Emil-Situation“ wahrgenommen haben, indem sie sich also an bestimmte Verhaltensweisen meiner Figuren auf der Bühne erinnert fühlten.

Ihre Figuren kämpfen mit den ­Herausforderungen des Alltags, mit kommunikativen Missverständnissen und mit den Tücken der Technik. Ist es das, was dafür sorgt, dass Ihr ­Humor über Ländergrenzen hinaus funktioniert?

Ja. Es gibt Schwächen, die in allen Menschen stecken. Ich bin einmal in Afrika aufgetreten, im Urwald sogar. Da haben die Einheimischen am ­allermeisten gelacht, obwohl sie kein Wort verstanden. Allein mein Mienenspiel reichte aus, um sie zum Lachen zu bringen.

Ihre Figuren sind unter anderem vom Multitasking überfordert. Geht Ihnen das im Privaten auch manchmal so?

Ja. Ich mache lieber eins nach dem anderen. Das war schon immer so. Das ist wohl eine angeborene Schwäche. Als ich mit Anfang 20 bei der Post arbeitete, dachte ich mir während des Dienstes am Schalter neue Nummern für das Programm im Cabaret-Ensemble aus. Das ging selten gut. Ich produzierte Zahlendreher, die ich dann später mühsam korrigieren musste, während die Kollegen schon längst zu Hause beim Abendessen waren.

Kannten Sie eigentlich Loriot persönlich?

Ja. Bei Fernsehsendungen haben wir uns hinter den Kulissen öfter mal getroffen. Da hat er mir stolz erzählt, dass sein Mops „Emil“ hieß.

Sie sind einst auch in der DDR aufgetreten. Wie kam es dazu?

Die staatliche Rundfunkgesellschaft lud mich in die Samstagabend-Show „Ein Kessel Buntes“ ein. Zudem spielte ich an fünf Abenden im Kabarettlokal „Distel“ in Berlin. Danach wollten sie mich für eine große Tournee in der DDR engagieren. Doch da habe ich Nein gesagt.

Im Jahr 2009 ist Steinberg in Mainz mit einem Stern auf dem „Walk of Fame der Satire“ ausgezeichnet worden. Loriot bekam damals auch einen.
Im Jahr 2009 ist Steinberg in Mainz mit einem Stern auf dem „Walk of Fame der Satire“ ausgezeichnet worden. Loriot bekam damals auch einen.dpa
Warum?

Weil ich bemerkt hatte, dass immer nur Parteifunktionäre im Theater saßen. Für die wollte ich nicht spielen. Und während meines Aufenthalts wurde ich auf Schritt und Tritt von einer russischen Agentin begleitet und überwacht. Das war eine verrückte Frau. Sie hat mich einen „verdammten Kapitalisten“ genannt. Die Hälfte meiner Gage musste ich übrigens in der DDR ausgeben. Das war vertraglich so bestimmt. Ich habe das Geld in Briefumschläge gesteckt und an Mitarbeiter des Fernsehsenders verteilt. Die hatten mir zuvor ihr Leid geklagt. Sie erzählten, dass sie finanziell kaum über die Runden kämen.

Hatten oder haben Sie viele Fans in Ostdeutschland?

Ja. Etliche Jahre nach der Wende habe ich eine Tournee durch die neuen Bundesländer gemacht. Die Resonanz war unglaublich. Alle Vorstellungen waren sofort ausverkauft. Die Leute konnten kaum glauben, dass ich da leibhaftig vor ihnen stand. Ich war für sie wie eine Fata Morgana.

Viele Deutsche dachten, Sie sprächen in den Sketchen Schweizerdeutsch, dabei war es Hochdeutsch mit stark schweizerischer Färbung. Beim Urlaub in der Schweiz waren sie dann verblüfft, dass sie kaum ein Wort verstanden.

Ja, das ist grausam. Die Deutschen fragten sich: Wieso kann ich die Schweizer Bäckersfrau in ihrem Laden nicht verstehen, wo ich doch Emil im Fernsehen so gut verstehe?

Würden Sie sagen, dass Ihre Auftritte auf Schweizer Dialekt noch mehr Witz und Tiefe haben?

Als mich der Süddeutsche Rundfunk in den Siebzigerjahren fragte, ob ich in Deutschland spielen möchte, habe ich zunächst Nein gesagt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine in Dialekt gespielten Sketche auch auf Hochdeutsch funktionieren. Die Satzstellung ist anders. Da stimmt dann plötzlich die Körperbewegung nicht mehr, und man wird steifer. Kleine Wörtchen in Mundart zeigen Nuancen, die sehr wichtig sind. Im Hochdeutschen stirbt ein Teil meines Wortschatzes ab. Doch zu meiner eigenen Überraschung hat es dann doch sehr gut funktioniert, übrigens auch auf Französisch.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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Haben Sie ein Lieblingswort im Schweizer Dialekt?

Lustig finde ich das Wort „Gscheich“. So sagt man im Kanton Freiburg, wenn man ein „Geschenk“ kaufen will. Das Verb heißt „gscheichen“.

Den Schweizern ist es sehr wichtig, ihre Eigenart zu bewahren, gerade und besonders in Abgrenzung zu den Deutschen, oder?

Ja, das kann man schon sagen. Dabei können wir nur glücklich darüber sein, dass so viele Deutsche in die Schweiz kommen. Es sind nicht die Dummen, die zuwandern. Es sind gut ausgebildete Fachkräfte. Darum ist es völlig falsch, wenn wir sagen: Geht doch wieder zurück. Da fängt die Dummheit an, die sich bei uns zunehmend ausbreitet. Furchtbar.

Manche Zuwanderer möchten länger bleiben und sogar Schweizer werden. Ist die Einbürgerung heute immer noch so schwierig, wie man es aus dem Film „Die Schweizermacher“ kennt, dem bis heute erfolgreichsten Schweizer Film?

Ja, da hat sich fast nichts geändert. Jede größere Gemeinde hat ihre eigenen Vorgaben, was es braucht, um Schweizer zu werden. Da gibt es riesige Unterschiede in den Wissensanforderungen. Eine Frau ist mal durch die Prüfung gerasselt, weil sie den Namen des Dorfmetzgers nicht kannte. Diese Willkür regt mich unglaublich auf. Wir benehmen uns vollkommen verkehrt.

Was ist typisch schweizerisch?

Wir Schweizer sind Tüpflischiesser, auf Hochdeutsch: Korinthenkacker. Wir wollen immer alles überkorrekt und exakt machen; lehrerhaft sind wir noch dazu.

Die Schweiz sieht sich als Willensnation: Die Menschen der verschiedenen Regionen, Kulturen und Sprachen bildeten eine bewusst gewollte Gemeinschaft, heißt es. Damit ist sie der EU ähnlich, und doch hat man in der Schweiz für diese viel Spott und Häme übrig. Warum ist das so?

Das ist nicht hundertprozentig so. Viele Schweizer sehen die EU positiv. Sie erkennen, welche wirtschaftliche Gefahr darin besteht, abseits zu stehen.

„Der Lobbyismus ist für mich die größte Krankheit der Schweiz“, sagt Emil Steinberger.
„Der Lobbyismus ist für mich die größte Krankheit der Schweiz“, sagt Emil Steinberger.dpa
Als mit Abstand stärkste politische Kraft propagiert allerdings die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei, die SVP, die Abschottung von der EU. Warum votiert fast jeder dritte Schweizer für diese Partei?

Das begreife ich auch nicht. Leider schlägt das Pendel gerade fast überall in der Welt nach rechts. Mir machen all die Mitläufer Sorgen, die die verqueren politischen Ziele Einzelner nicht durchschauen. Sie fallen auf Lügen herein, statt auf Tatsachen zu vertrauen.

Im Schweizer Parlament sitzen auffallend viele Lobbyisten. Wie finden Sie das?

Der Lobbyismus ist für mich die größte Krankheit der Schweiz. Der Einfluss der Lobbyisten auf die Politik ist eindeutig viel zu groß. Etliche unserer Volksvertreter haben lukrative Posten an den Spitzen von Verbänden und Organisationen, ohne dass Transparenz darüber besteht, wie hoch sie dafür bezahlt werden. Unser Parlament ist in Teilen gekauft. Das geht einfach nicht. Da müsste man wirklich durchgreifen. Wenn man mit Geld alles machen kann, dann ist die Demokratie am Ende. Diese Gefahr sehe ich auch in den USA, wo der Multimilliardär Elon Musk jetzt als rechte Hand von Donald Trump agiert.

Kommen wir zurück zu Ihnen. Sie haben nach der Schule eine Lehre bei der Post gemacht und dann jahrelang an einem Postschalter gesessen. Wie war das für Sie?

Während der Lehrzeit musste ich die Verbindungen zu 3000 Schweizer Ortschaften auswendig lernen. Es gab damals ja noch keine Postleitzahlen. Für ein Jahr wurde ich in die französischsprachige Schweiz geschickt. Dort habe ich in den kleinen Poststellen allein Ferienvertretung gemacht: Schalterbedienung, Abrechnung, Bilanz, all das. Da fragte ich mich: Ist das jetzt das, was ich bis zur Pensionierung machen werde? Und mir wurde klar: Ich musste da weg. Die neun Jahre bei der Post habe ich überhaupt nur durchgehalten, weil ich am Abend nach der Arbeit bereits mit einem Ensemble auf der Bühne stand.

Ihre Eltern waren sehr konservativ. Stimmt es, dass Sie deshalb heimlich bei der Post gekündigt haben?

Ja. Ich wollte auf die Kunstgewerbeschule gehen. Nur, schon als ich zu Hause dieses Wort erwähnte, war die Hölle los. Also habe ich die Aufgaben für die Aufnahmeprüfung auf meinem Nachttisch erledigt, sodass es niemand mitbekam. Ich wohnte ja noch bei den Eltern. Als ich dann die Zusage bekam, habe ich bei der Post gekündigt. Meine Eltern waren schockiert. Sie verstanden das überhaupt nicht.

In dem Dokumentarfilm „Typisch Emil“, der – wenn alles gut geht -– Anfang April in die deutschen Kinos kommt, schildern Sie, dass Ihre Eltern Ihre Arbeit als Kabarettist selbst dann nicht schätzten, als Sie riesige Erfolge feierten.

Ja, das war so. Für meine Eltern waren meine Auftritte Dummheiten. Wenn ich mal nach Hause kam und lamentierte, dass ich so viel Arbeit hätte, sagten sie: „Siehst du, wärst du nur bei der Post geblieben.“ Das hat mich damals sehr geschmerzt.

Ende 1993 gingen Sie nach New York, um, wie Sie sagten, dem „gesellschaftlichen Gefängnis“ Schweiz zu entkommen. Das müssen Sie erklären.

Der Erfolg treibt manchmal seltsame Blüten. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie stark ich damals unter Beschlag war. Alle wollten etwas von mir. Ich konnte in der Schweiz kaum einen Schritt machen, ohne angesprochen oder auch verfolgt zu werden. Die Medien waren ständig hinter mir her. Ich fühlte mich eingeschnürt und verlor an Kreativität und Lebensfreude.

Und warum wollten Sie nach Amerika?

Ich wollte meine Ruhe haben. Dazu brauchte ich Distanz. In New York wollte ich vier Dinge tun: lesen, hören, schauen und lernen. Als Erstes habe ich einen Englisch-Sprachkurs belegt. Doch die Anfragen aus der Heimat rissen nicht ab. Die Arbeit holte mich bald wieder ein.

Sie sind als geschiedener Mann allein nach New York gezogen und haben dort ihre zweite Frau Niccel kennengelernt. Wie kam das?

Das ist eine unglaubliche Geschichte. Als Jugendliche besuchte Niccel einmal eine Vorstellung im Circus Roncalli, den ich damals als künstlerischer Leiter gerettet hatte. Sie war begeistert und wollte Clown werden. Mit 20 schrieb sie mir einen Brief, um von mir zu erfahren, wie man sich zum Clown ausbilden lassen kann. Zehn Jahre schrieben wir einander, und dann kam sie nach New York, um ihren 30. Geburtstag zu feiern. Ein Jahr später lud ich sie noch mal ein. Seither sind wir immer zusammen. Und es harmoniert dermaßen gut, das ist für mich ein Wunder, wirklich!

Sie haben zwei Söhne. Sind die ebenfalls künstlerisch unterwegs?

Der eine gar nicht. Er hat eine Banklehre gemacht und arbeitet in der Finanzwelt. Der andere ist darstellender Künstler, will aber nicht, dass ich mich da einmische. Er möchte seinen eigenen Weg gehen, und das finde ich wunderbar.

Sie sind jetzt 92 Jahre alt und immer noch putzmunter. Wie halten Sie sich fit?

Mit Arbeiten, interessanten Aufgaben und einer sehr guten, intelligenten Ehefrau.

Was wäre Ihr größter Wunsch?

Dass ich zusammen mit meiner Frau noch lange kreativ bleiben darf.

Zur Person

Geboren 1933 in Luzern, gab schon in der Schule den Pausenclown.

Ausbildung zum Postbeamten, ab 1960 Ausbildung zum Grafiker; Diplom.

Anfänge als Kabarettist, auch im „Kleintheater am Bundesplatz“, das er 1967 mit seiner ersten Frau Maya gründet und in dem auch internationale Künstler wie Zarah Leander auftreten.

Anfang der 1970er-Jahre Durchbruch als Solo-Kabarettist „Emil“ mit selbst geschriebenen Sketchen.

Große Bekanntheit mit dem Film „Die Schweizermacher“ 1978, auch hierzulande erfolgreich; Touren, TV-Auftritte.

Seit 1999 mit der Deutschen Niccel Steinberger verheiratet; das Paar lebt in Basel.

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