Schweden und Finnland wollen in die NATO: Chronik der Beitrittsgespräche

Schweden war seit der Herrschaft Karl XIV. Johann, König von Norwegen und Schweden von 1818 bis 1844, neutral. Das Land erkannte damit seine eigene Größe und die Nähe zu Russland als Voraussetzungen seiner Geopolitik an. Auch im Zweiten Weltkrieg blieb Schweden neutral, unterhielt aber enge wirtschaftliche Beziehungen zum Dritten Reich und ließ es zu, dass mehr als zwei Millionen deutsche Soldaten durch Schweden an die Front nach Finnland und Norwegen transportiert wurden. 27. Februar 2014: Bewaffnete Kräfte besetzen strategisch wichtige Punkte auf der Krim. Am 18. März unterzeichnet Wladimir Putin einen Vertrag über die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation. Seit der Annexion blickt Schweden mit wachsender Sorge auf die russische Außenpolitik. 2. März 2017: Die 2010 ausgesetzte Wehrpflicht wird wieder eingeführt. Sie gilt für alle Geschlechter und dauert bis zu zwölf Monate. Wehrpflichtige, die aus Gewissensgründen verweigern, müssen keinen Zivildienst leisten. 24. Juli 2018: Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu rügt Finnland und Schweden wegen ihres engen Verhältnisses zur NATO. Sollten beide Länder dem Verteidigungsbündnis beitreten, werde Russland darauf reagieren müssen, so Schoigu. Eine derartige Ausweitung der Nato würde die globale Sicherheit gefährden. 25. Oktober 2018: Die NATO übt in einem Großmanöver in Norwegen für den Bündnisfall. Als Partnerländer nehmen Schweden und Finnland an „Trident Juncture 2018“ teil. 24. Februar 2022: Russland überfällt die Ukraine. 3. März 2022: Die sozialdemokratische Außenministerin Ann Linde sagt, es sei unwahrscheinlich, dass sich Schweden neutral verhalten könne, wenn ein Nachbar angegriffen werde. Kurz zuvor haben sich Schwedens führende Parteien auf eine neue Sicherheitsdoktrin geeinigt. Demnach bleibt Schweden „allianzfrei“. Dies ist aber nicht mehr mit dem Ziel verbunden, sich auch im Falle eines Krieges neutral zu verhalten, wie es die alte Formulierung von 1992 vorschrieb. Die schwedische Volkspartei ist gegen die neue Doktrin und verlangt den sofortigen Eintritt in die NATO. 13. Mai 2022: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärt, es sei Ankara nicht möglich, einen Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO zu unterstützen. 16. Mai 2022: Erdogan wiederholt seine Ablehnung und begründet dies mit einer Entscheidung Schwedens im Jahr 2019, Waffenverkäufe an die Türkei wegen deren Militäroperationen in Nordsyrien auszusetzen. Außerdem beschuldigt er Schweden und Finnland, Terrorgruppen zu tolerieren, darunter die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Kurdenmiliz YPG. 18. Mai 2022: Schweden beantragt gemeinsam mit Finnland die NATO-Mitgliedschaft. Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson spielte dabei eine entscheidende Rolle; die Schwedin überzeugte ihre Partei, dass dies jetzt notwendig sei. Noch im März hatte sie einen solchen Schritt skeptisch beurteilt – ebenso wie ihr Verteidigungsminister Peter Hultqvist, der eine NATO-Mitgliedschaft lange abgelehnt hatte. Die Bündnisfreiheit habe auf einem Gleichgewichtsgedanken beruht, der mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und Finnlands Weg in die NATO zerstört worden sei, befindet er nun. Die Türkei blockiert im NATO-Rat jedoch den Beginn der Beitrittsgespräche. 28. Juni 2022: Kurz vor Beginn eines NATO-Gipfels in Madrid erklären sich Schweden und Finnland bereit, auf mehrere Forderungen der Türkei einzugehen. Erdogan und Stoltenberg bekunden daraufhin in getrennten Erklärungen, dass die Türkei ihr Veto gegen den Beitritt der beiden Länder aufgebe. 5. Juli 2022: Vertreter der 30 Mitgliedstaaten der Nato unterzeichnen die für die Aufnahme von Schweden und Finnland notwendigen Beitrittsprotokolle. Damit wird der NATO-Generalsekretär ermächtigt, die beiden nordischen Staaten offiziell zur Mitgliedschaft einzuladen. Bevor sie in Kraft treten können, müssen sie allerdings noch von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. 30. September 2022: Schweden erklärt sich erstmals seit Jahren wieder bereit, Waffen an die Türkei zu liefern. 24. November 2022: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbàn erklärt, sein Land beabsichtige die Ratifizierung des Nato-Beitritts von Schweden und Finnland. Allerdings setzte die von Orbans Partei Fidesz kontrollierte Volksvertretung den Punkt bisher nicht auf die Tagesordnung. 12. Januar 2023: Demonstranten hängen eine Puppe mit Gesichtszügen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kopfüber an einem Galgen auf. Der Vorfall ereignet sich in Sichtweite des Stockholmer Rathauses. Die schwedische Staatsanwaltschaft entscheidet, wegen des Vorfalls keine Ermittlungen einzuleiten. Die Türkei sagt einen Besuch des schwedischen Parlamentspräsidenten in Ankara ab. 21. Januar 2023: Vor der türkischen Botschaft in Stockholm verbrennt der rechtsextreme Aktivist Rasmus Paludan ein Koran-Exemplar. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar lädt nun auch den schwedischen Außenminister Pal Jonson wieder aus, der in dieser Woche zu Gesprächen nach Ankara reisen wollte. Zwei Tage später erklärt Erdogan, unter diesen Umständen der Aufnahme Schwedens nicht zuzustimmen. 1. Februar 2023: Erdogan stellt eine Zustimmung zur Aufnahme Finnlands ohne Schweden in die NATO in Aussicht. Die beiden Länder beharren aber noch auf einer gleichzeitigen Aufnahme. 24. Februar 2023: Orbàn sieht noch „Gesprächsbedarf“ im Parlament über die geplanten Beitritte. Ungarn ist neben der Türkei das letzte Nato-Land, das die Beitritte noch nicht ratifiziert hat. 27. März 2023: Ungarn ratifiziert den NATO-Beitritt Finnlands. Das Land, das eine rund 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, muss nun nur noch einige technische Voraussetzungen erfüllen, um der Militärallianz beitreten zu können. Zwei Tage später beklagt ein Sprecher Orbàns die wiederholte Kritik Schwedens an Ungarn in Fragen der Rechtsstaatlichkeit. Schweden müsse „ eine andere Tonart“ anschlagen. 30. März 2023: Das türkische Parlament stimmt dem Beitritt Finnlands zu. 4. April 2023: Finnland wird offiziell Mitglied der NATO. 28. Mai 2023: Erdogan gewinnt die Stichwahl um das Präsidentenamt. 6. Juli 2023: Ein Stockholmer Gericht verurteilt einen 40 Jahre alten Mann wegen Terrorfinanzierung für die PKK und weiterer Delikte zu viereinhalb Jahren Gefängnis und einer Abschiebung in die Türkei samt Wiedereinreiseverbot. Es ist das erste Urteil seit Inkrafttreten einer Verschärfung des Terrorgesetzes, die am 1. Juni als Entgegenkommen an die Türkei vollzogen worden war. Beteiligung und Unterstützung einer Terrororganisation im In- und Ausland werden darin mit bis zu acht Jahren Haft bestraft. Noch am Tag des Urteils treffen sich Abgesandte aus Schweden, Finnland und der Türkei, um über den schwedischen Beitritt zu beraten. 9. Juli 2023: US-Präsident Joe Biden telefoniert mit Erdogan, um vor dem NATO-Gipfel in Vilnius noch eine Einigung zu erzielen. Sie vereinbaren ein bilaterales Treffen. Erdogan dankt Biden für die Unterstützung seiner Forderung nach US-Kampfjets vom Typ F-16. 10. Juli 2023: Erdogan verlangt für seine Zustimmung, dass die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei wieder aufgenommen werden. 11. Juli 2023: NATO-Generalsekretär Stoltenberg verkündet, die Türkei gebe ihre Blockade auf. Aus Budapest kommt die Nachricht, auch die Zustimmung Ungarns sei nun „nur noch eine technische Angelegenheit“.