Böhmermann publiziert Akten : Altbekanntes jetzt für alle
Der Wirbel, den das „ZDF Magazin Royale“ am Wochenende in der hessischen Landeshauptstadt und im Internet auslöste, könnte so missverstanden werden, als gebe es einen investigativen Erfolg zu bestaunen. Tatsächlich aber handelt es sich bei der „Veröffentlichung“ der sogenannten NSU-Akten keineswegs um die Enthüllung von bisher unbekannten Fakten.
Der Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz über seine Aktivitäten vor der Entdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ im Jahr 2011 stand schon den Abgeordneten des dafür gebildeten Untersuchungsausschusses zur Verfügung. Mit den Inhalten konnten sie in öffentlichen Sitzungen Zeugen konfrontieren. Bis heute haben außerdem die sieben Abgeordneten der Parlamentarischen Kontrollkommission für den Verfassungsschutz jederzeit Zugang zu den Unterlagen. Darüber hinaus befinden sie sich in den Akten des aktuellen Untersuchungsausschusses zum Mord an dem früheren Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). Das Material steht nicht nur den 15 ordentlichen und 28 stellvertretenden Mitgliedern zur Verfügung, sondern auch jeweils zwei Mitarbeitern der Fraktionen, wenn sie sich zuvor einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben.
Woher hat Böhmermann die Akten?
Es dürften also knapp 100 Angehörige des parlamentarischen Betriebs die Akten gekannt haben, die seit Freitag im Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Wer über Vorkenntnisse verfügt, wird bei der Lektüre zu genau der Einschätzung gelangen, die unter den Abgeordneten seit Jahren parteiübergreifend vorherrscht. Danach war der Verfassungsschutz auf die Bedrohungen des Rechtsextremismus überhaupt nicht vorbereitet und total überfordert.
Diese keineswegs neue Erkenntnis betrifft die Zustände, wie sie vor mehr als zehn Jahren in der Behörde herrschten. Dass die Linkspartei sie zum Anlass nimmt, heute die Abschaffung des Verfassungsschutzes zu fordern, ist keine plausible Schlussfolgerung, sondern lediglich Ausweis einer grundsätzlichen, ideologisch motivierten Ablehnung des Geheimdienstes und seines Auftrags. Die Linke ignoriert, dass ihr Lieblingsgegner, Innenminister Peter Beuth (CDU), die Behörde inzwischen neu aufgestellt hat, um sie für die Herausforderungen des Rechtsextremismus zu wappnen. Ob die massive Aufstockung des Personals und die neuen Strukturen sich bewähren, bleibt abzuwarten. Im Moment wird im Regierungsviertel spekuliert, wer dem Moderator Jan Böhmermann die Akten zugespielt haben könnte. Allzu viele hatten die Möglichkeit dazu.