Deutsche bei Australian Open :
Lucky Lys und ein Sieg für die Spardose

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Partystimmung: Eva Lys genießt ihre Zeit in Melbourne.
Erst durch eine Absage kam Eva Lys ins Hauptfeld der Australian Open. Nun gelingt ihr der bislang größte Erfolg ihrer Tennis-Karriere. Dank ihres Talents – und der besonderen Stimmung auf dem Partycourt.
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Das Tennis-Publikum bei den Australian Open steht schon lange im Ruf, das feierwütigste bei einem der vier Grand-Slam-Turniere des Jahres zu sein. Manchen Spielerinnen und Spielern fällt es dementsprechend nicht leicht, sich angesichts der permanenten Partystimmung auf den Rängen auf ihr Tun auf den Plätzen zu konzentrieren.

Am Dienstag setzten sich deshalb der Kanadier Felix Auger-Aliassime und der Spanier Alejandro Davidovic Fokina erfolgreich dafür ein, dass ihre Zweitrundenpartie mitten im ersten Satz auf einen anderen Court umzog, da auf dem Nachbarplatz ein paar Franzosen dermaßen eskalierten, dass sie sich dadurch massiv gestört fühlten. Andere wiederum lassen sich von der ausgelassenen Stimmung mitreißen – zum Beispiel Eva Lys, die am Mittwoch erstmals in ihrer Karriere die dritte Runde eines Grand-Slam-Turniers erreichte.

Stimmung auf dem „Partycourt“

Lys hatte auf Platz sechs am nördlichen Ende der Tennis-Anlage in Melbourne gegen die Französin Varvara Gracheva gespielt. Platz sechs trägt den Spitznamen „Partycourt“, weil dort an den Seiten auf zwei Etagen lange Tresen mit Barhockern platziert sind, dahinter die zugehörigen Bars.

Tennis ist hier bisweilen eher Teil des Rahmenprogramms einer ordentlichen Feier als deren zentrales Element. Es ist laut, es ist feuchtfröhlich, es ist jener Platz, von dem die beiden Männer am Vortag geflüchtet waren. Auch beim Match von Lys gegen Gracheva waren rund um den Court wohl mindestens so viele Bierbecher oder Cocktailgläser zu finden wie Zuschauer.

Doch Lys blühte in dieser speziellen Atmosphäre auf. Auch weil sie die Mehrzahl der Zuschauer auf ihrer Seite spürte, weil sie immer wieder lautstark angefeuert wurde und von den Feiernden am Ende sogar ein eigenes Liedchen gewidmet bekam („Hey Eva, I wanna know, if you be my girl“). Derart angetrieben überstand die Deutsche sogar eine kleine Krise im zweiten Satz und gewann 6:2, 3:6, 6:4. „Ich finde es generell unglaublich, was für eine Energie einem das Publikum geben kann“, sinnierte sie etwas später. Sie sei „unheimlich dankbar für jeden, der da heute zugeschaut hat“.

Ein „Kopfmensch“

Womöglich brauchte Lys genau diese Umgebung, um den bislang größten Erfolg ihrer Karriere zu erreichen. Schon ihr Erstrundenmatch hatte sie schließlich unter besonderen Umständen bestritten. Lys hatte ursprünglich in der letzten Runde der Qualifikation verloren. Sie war fast schon auf dem Weg zum Flughafen, ehe sie nach einer verletzungsbedingten Absage als sogenannter „Lucky Loser“ doch noch ins Hauptfeld des Turniers nachrückte.

Gerade einmal 15 Minuten später stand sie plötzlich auf dem Platz und gewann ihr Duell mit der Australierin Kimberly Birrell in zwei Sätzen. „Lucky Lys“ nennen sie sie in Melbourne dieser Tage deshalb. „Ich finde den Spitznamen auch super“, sagte sie nun. „Aber irgendwann ist es dann auch kein ‚Luck‘ mehr. Man muss die Matches ja auch noch gewinnen. Das geht nicht nur mit Glück.“

Lys ist am vergangenen Sonntag 23 Jahre alt geworden. Zu den Spielerinnen, auf denen nach dem schrittweisen Abschied alter Heldinnen wie Angelique Kerber die größten Hoffnungen im deutschen Frauentennis ruhen, gehört sie trotzdem schon etwas länger. Doch obwohl ihr Talent groß ist, wartete sie lange auf den ersten großen Auftritt auf großer Bühne.

Im vergangenen Jahr spielte sie sich bei drei von vier Grand-Slam-Turnieren über die Qualifikation ins Hauptfeld, verlor dann aber jedes Mal schon in Runde eins. „Ich weiß, ich habe das Level, aber es ist immer der Kopf, der sich irgendwann einschaltet“, erklärte sie nun in Melbourne.

Lys bezeichnet sich selbst immer wieder als „Kopfmensch“. Dass sie eine kluge Tennisspielerin ist, die sich viele Gedanken macht, ist dabei Stärke und Schwäche zugleich. Gegen Gracheva sah man, dass sie sich einen schlauen Matchplan zurecht gelegt hatte. Ihre Returns spielte sie zu 85 Prozent in die Mitte des Feldes, fand so stets in die Ballwechsel, die sie dann meist dominierte.

Doch als sie das Ziel näher kommen sah, kam sie ins Grübeln und wiederholte einen Fehler, der sie schon in der Qualifikation hatte ausscheiden lassen. „Ich bin angespannt gewesen, habe versucht mit Kraft zu spielen“, erzählte sie. „Aber das ist bei mir nicht die Lösung. Bei mir ist die Lösung, mutig zu spielen.“

Erspartes aus Erfahrungen

Lys spricht mit einer bemerkenswerten Klarheit, nicht nur über das Geschehen auf dem Platz. Im vergangenen Jahr hatte sie öffentlich gemacht, wie eine Autoimmunerkrankung ihren Alltag als Tennisprofi prägt, in den sozialen Netzwerken äußert sie sich regelmäßig auch zu politischen Themen.

„Ich bin nicht nur eine Tennisspielerin“, sagte sie der F.A.S. vor wenigen Wochen im Interview. „Ich kann machen und sagen, was ich möchte.“ Ihre Ziele hat sie dabei stets klar vor Augen. Auch in Melbourne, wo ein weiterer Sieg in Runde drei gegen die Rumänin Jaqueline Christian sie nicht nur ins Achtelfinale sondern auch erstmals unter die Top-100 der Weltrangliste führen würde.

Die Vergangenheit habe sie gelehrt, dass sie „bittere Niederlagen“ brauche, um daraus zu lernen, sagte Lys. „Das kommt dann alles in die Spardose“ und eines Tages könne sie von den gesammelten Erfahrungen profitieren. Wenn sich dann auch noch der ein oder anderer süße Sieg unter dem Ersparten befindet, kann das sicher nicht schaden. Ebenso wenig wie die 290.000 australischen Dollar (zirka 175.000 Euro), die es in Melbourne nun für das Erreichen der dritten Runde gibt.

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