Tennis-König Sinner :
Die neue Benchmark

Pirmin Clossé
Ein Kommentar von Pirmin Clossé
Lesezeit: 2 Min.
Herr der Bälle: Jannik Sinner dominiert derzeit die Tennis-Profitour der Männer.
2024 war das Tennis-Jahr des Jannik Sinner. Nun suchen seine Gegner nach Antworten. Novak Djokovic tut sich dafür sogar mit einem langjährigen Rivalen zusammen.
Merken

Im Sommer 2023 schlurfte in Wimbledon ein junger Mann mit roten Haaren auf den Centre Court. Er war auf dem Weg zu seinem Erstrundenmatch beim berühmtesten Tennisturnier der Welt, und über der Schulter trug er neben seiner Tennistasche auch eine sehr auffällige Reisetasche.

Und obwohl das außergewöhnliche Talent des Tennisspielers Jannik Sinner schon damals kaum zu übersehen war, wunderten sich in diesem Moment viele unter den Zuschauern, dass ausgerechnet dieser etwas blasse, etwas schüchterne und ziemlich dünne Junge aus Südtirol offenkundig die neue Werbefigur einer weltbekannten italienischen Luxus-Modemarke war.

Gut eineinhalb Jahre später wundert sich niemand mehr. Sinner ist zwar noch immer ein bisschen blass, ein bisschen schüchtern und ziemlich dünn. Er ist aber auch das Gesicht einer neuen Ära des Profitennis und einer der größten Stars, den die Branche derzeit zu bieten hat. 2024 war sein Jahr. Er gewann die Australian Open, er gewann die US Open, er gewann die ATP Finals, und er gewann mit dem italienischen Team am Sonntag den Davis Cup.

Jannik Sinner mit Gucci-Tasche in Wimbledon
Jannik Sinner mit Gucci-Tasche in WimbledonPicture Alliance

In der Weltrangliste steht Sinner mit großem Abstand auf Platz eins, auch wenn das Bild getrübt wird von zwei positiven Doping-Tests, derentwegen ihm noch immer eine Sperre droht. Die verantwortliche Tennis-Agentur Itia hat Sinner zwar freigesprochen, sie hielt seine Erklärung, der positive Test sei auf eine Wundsalbe seines Physiotherapeuten zurückzuführen, für plausibel. Doch die Welt-Anti-Doping-Agentur hat vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS Berufung eingelegt.

Doppelangriff durch Djokovic und Murray

Das ändert aber nichts daran, dass Sinner in diesem Jahr Maßstäbe gesetzt hat. Von 76 Partien gewann der 23-Jährige 70, bei den sechs Niederlagen stets wenigstens einen Satz. Ein ganzes Jahr, ohne ein Match glatt zu verlieren – das war vor ihm nur Roger Federer und Serena Williams gelungen, 2005 und 2013, jeweils auf dem Höhepunkt ihrer Dominanz. Mit seinem gradlinigen, druckvollen und angriffslustigen Spiel von der Grundlinie hat Sinner vor allem auf den Hartplätzen, auf denen er 16 der bislang 18 Titel seiner Karriere gewann, nach Belieben dominiert. Auf Rasen und auf Sand deutete er sein Potential zumindest an.

Sinner ist nun die Benchmark. Er ist der, an dem sich alle orientieren und auf dessen Überlegenheit sie nun reagieren: Alexander Zverev etwa sprach erstmals seit Jahren offen davon, dass er sein Spiel „weiterentwickeln“ will, „damit ich mit Jannik Sinner und Carlos Alcaraz mithalten kann“. Und Novak Djokovic holte sich mit seinem langjährigen Rivalen Andy Murray einen überaus prominenten Coach in sein Team.

Es wird eine der spannendsten Fragen der neuen Saison, ob zwei der besten Tennisspieler der Vergangenheit eine Antwort finden auf die Fragen, die ihnen der beste Tennisspieler der Gegenwart stellt – und ob sich der eher schüchterne Junge aus Südtirol auch dann noch so selbstsicher über die Tennisplätze dieser Welt bewegt, wenn er plötzlich der Gejagte ist.

  翻译: