Alkoholfreie Weine :
Geht’s denn auch ohne Prozente?

Lesezeit: 5 Min.
Ein Schluck in Ehren, kann niemand verwehren! Im Zweifelsfall muss es halt alkoholfrei sein.
Fastenzeit, Medikamente oder einfach nur die Heimfahrt mit dem Auto: Es gibt viele Gründe, auf Alkohol zu verzichten. Aber wenn man dann doch einen Wein oder Sekt trinken will? Ursula Heinzelmann und eine Berliner Sommelière haben Alkoholfreies verkostet.
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„Ich hab keine Lust mehr auf Wasser im Restaurant“, sagt die eine Freundin (schwanger, Weinliebhaberin, verantwortungsbewusst). „Saft ist mir echt zu süß zum Essen“, klagt eine andere (zur Dauereinnahme von Medikamenten gezwungen, Alkohol kontraindiziert). „Alkoholfreies Bier ist ganz nett, aber ich mag den Geschmack von Wein“, bemerkt schließlich ein dritter Bekannter (Sportler). So unterschiedlich die Gründe, so anstrengend kann es sein, tatsächlich auf Wein zu verzichten. Das Glas Sekt zum Anstoßen, die Flasche Chianti, die jemand aus dem Urlaub mitgebracht hat, der erlesene Tropfen, den der Sommelier im Restaurant empfiehlt: Nein, nein, nein.

Dabei stresst der Verzicht auf Ritual und Geschmackserlebnis genauso wie die ständige Außenseiterposition. Und auch das Gegenteil stellt eine Herausforderung dar: Gibt es „Ohne“-Weine für Abstinenzler, die gerne Gäste zum Essen einladen und allen am Tisch das Gleiche einschenken möchten? Gibt es alkoholfreien Wein und Sekt, der auch jenen geschmacklich zuzumuten ist, die sich nicht gezwungenermaßen zur Enthaltsamkeit entschlossen haben?

Haben den Test gemacht: Autorin Ursula Heinzelmann (links) und Sommelière Helen Mol
Haben den Test gemacht: Autorin Ursula Heinzelmann (links) und Sommelière Helen MolAndreas Pein

Natürlich gibt es von Natur aus alkoholfreie Alternativen in Form verschiedenster Säfte, auch sehr gut gemachte, meist als „Secco“ bezeichnete sprudelige Varianten. Uns geht es hier jedoch ausdrücklich um den entalkoholisierten Stoff (der in Deutschland übrigens gesetzlich bis zu 0,5 Prozent Alkohol enthalten und offiziell weder als „Wein“ noch als „Sekt“ bezeichnet werden darf), also nicht die direkten Traubenaromen, sondern die durch die Gärung entstehenden weintypischen.

Nun lässt sich der bei der Gärung entstehende Alkohol durch Destillieren recht einfach von der wässerigen Flüssigkeit trennen, wie wir vom Destillieren wissen. Beim Erhitzen verdampft zuerst der Alkohol bei 78 Grad - aber die Aromen auch. Wissenschaft und Technik haben also mit der Zeit andere Methoden entwickelt, die teilweise auch zur Herstellung von alkoholfreiem Bier angewandt werden oder zum Reduzieren übermäßigen Alkohols im Wein. Neben diversen Formen von Schleuderkegelkolonnen („spinning cones“, ein ziemlich heftiger Eingriff), der Dialyse (langwierig), der zur Herstellung von Fruchtsaftkonzentraten genutzten Dünnschichtverdampfung sowie Membran-Filtermethoden hat sich daher vor allem die Vakuumverdampfung durchgesetzt. Ihr Vorteil: Der Alkohol verdampft bereits bei 27 Grad, also schonend und schnell. In Verbindung mit einer Aromarückgewinnungsmethode hat der Rheingauer Carl Jung dieses Verfahren bereits 1908 patentieren lassen. Es gilt heute allgemein als internationaler Standard, weil sich damit der Alkohol vollständig entziehen lässt und die Trauben- bzw. Weinaromen weitgehend erhalten bleiben.

Doch abgesehen davon, dass die Wirkung von Alkohol durchaus ihre positiven Seiten hat: Es ist erstaunlich, aufmerksam zu erforschen, welch entscheidende Rolle Alkohol für das gängige Geschmacksempfinden von Wein spielt. Sicher, Alkohol transportiert Aromen, so, wie das auch Fett in fester Nahrung tut. Aber was passiert tatsächlich, wenn Aromen, Süße, Säure, eventuell Gerbstoff und mehr oder weniger Kohlensäure allein miteinander auskommen müssen? Das ist ein ganz anderes Spiel, bei dem alle verbliebenen Faktoren gefragt sind. Säure etwa ist wichtig, Kohlensäure schafft eine gewisse Länge (weshalb Schäumendes eigentlich prädestiniert ist für größtmöglichen Ohne-Genuss, aber oft unter übermäßiger Süße leidet).

Unsere Auswahl im Glas war zwangsläufig weder vollständig noch repräsentativ, sondern versuchte, sowohl weithin erhältliche Weine als auch weniger bekannte zu erfassen. Verkostet hat mit uns die Berliner Sommelière Helen Mol, die mit ihrer Agentur Winzer am Markt begleitet und unterstützt.

Ein Fazit vorab: Es gibt durchaus Akzeptables bei den Alkoholfreien. Wir hätten jedoch nur allzu gern die Weine vor dem Entalkoholisieren verkostet; im Rückblick drängt sich nämlich der Verdacht auf, dass uns die vielleicht auch nicht vom Verkostungshocker gerissen hätten. Wie würde ein wirklich guter Wein in dieser Form schmecken?

Die getesteten Produkte sind bei unterschiedlichen Anbietern erhältlich, sämtlich zu Preisen unter zehn Euro - bis auf den „Lussory Gold“, der bis jetzt nicht in Deutschland angeboten wird, aber laut Erzeuger einen Endverbraucherpreis von 90 Euro anstrebt.
   

Mit diesen Tropfen könnten wir einen Abend verbringen:

Andreas Pein
Cabernet Sauvignon, Carl Jung (Rheingau). Duftet andeutungsweise nach Sauerkirschen und schafft es, durch angenehm spannende Säure und verhalten herbe Gerbstoffe einen gewissen Nachhall hinzukriegen.
13 Natureo Free, Syrah und Cabernet Sauvignon Rosé, Miguel Torres (Spanien). Im Gegensatz zu vielen anderen Weinen in der Verkostung wussten wir hier, was wir in Bezug auf Jahrgang, Rebsorte und Herkunft tatsächlich im Glas hatten, und die Ausstattung ist ansprechend. Auch die Angabe der Süße, 52,6 Gramm pro Liter, war nachvollziehbar (schmeckbar war es gefühlt weniger, im angenehmen feinherben Bereich), während sie uns bei anderen Kandidaten ein Rätsel war. Saftig an Rhabarber erinnernd. „Etwas moussierend, auf der Zunge weinig, ganz guter Abgang“, notierte die Sommelière.
Chardonnay, Carl Jung (Rheingau). Mit kräftiger Säure. Birnenduft in der mostig reifen Nase, vollmundige Stachelbeere und ein angenehmer Abgang. 40 Gramm Süße pro Liter sind höchstens zu erahnen.
13 Natureo Free Muscat, Miguel Torres (Spanien). Muscat d’Alexandrie- Trauben aus dem Penedès, die uns mit weißen und grünem Pfeffer, exotischen Früchten und Gewürzen (Limetten, Rosenblätter) entgegendufteten und dann mit saftig-fruchtiger Säure gepaart im Mund wieder auftauchten; erfrischend und ausgewogen und ein perfekter Frühjahrs- und Sommer-Aperitif. Schade, dass der Dritte im Bunde, der „Free“-Rotwein von Torres, in Deutschland nicht erhältlich ist.
Premium Airén & Macabeo, Lussory (Spanien). Gut gemachter Weißwein einer Firma in Santiago de Compostela, die auf gänzlich alkoholfreie und als halal zertifzierte Weine spezialisiert ist. Blind hätten wir vielleicht auf einen leichteren Grauburgunder einer badischen Winzergenossenschaft oder einen ganz netten Chardonnay getippt, an der allerobersten Grenze von trocken. Ein warmer Ton in der Nase, nussige gelbe Früchte, einer der weinigsten Weine der Verkostung.
Premium Gold, Lussory (Spanien). Dieser aufwendig ausgestattete Schäumer ist das Spitzenprodukt von Lussory. Er zeigt, was machbar ist in dieser Kategorie, und damit meinen wir nicht den 24-karätigen Goldstaub, der darin schwebt (und ganz offensichtlich auf die Premiummärkte der arabischen Welt zielt). Nein, die Nase erinnert uns nicht nur an reifes Obst, sondern auch so manche Aromen in echten Schaumweinen; „hier sind Ecken und Kanten“, kommentierte Helen Mol.

Auch diese kann man durchaus trinken:

Andreas Pein
„Selection“, weiß und rot, Carl Jung (Rheingau). Leicht und traubig, aber nette, annähernd trocken schmeckende Kerle, die beiden.
Premium Sparkling, Lussory (Spanien). Zitrus, Birne und Süße; das „Brut“ auf dem Etikett können wir nicht nachvollziehen, aber ein gut gekühltes Glas davon trinken wir.
Brillant Sparkling, weiß und rosé, Söhnlein (Henkell/Wiesbaden). Beide ausgesprochen fruchtintensiv, der Weiße mit Stachelbeere, Apfel und Pfirsich, der Rosé dann mit ausgeprägten Himbeeraromen und noch deutlicherer Süße, die aber auch für eine gewisse Länge sorgt. Wer gerne restsüßen Riesling-Kabinett von der Mosel trinkt, sollte hiermit ganz gut zurechtkommen.
Light Live Sparkling rosé und rot, Wachenheim (Pfalz). Die beiden Schäumer gefielen mit Aromen, die an Aprikosen bzw. Glühwein erinnerten, die Perlage relativ fein - „kann man durchaus trinken“, so Mol. Beide mit deutlicher Süße, durch Säure aufgefangen.

Da trinken wir doch lieber Wasser:

Andreas Pein
Premium rot, Lussory. Nase nach Kohl und Essig, Geschmack nach muffigem Kork.
Light Live, rosé und weiß still sowie weiß sparkling, Wachenheim. Bestätigten leider die Vorurteile zur Kategorie „alkoholfrei“: dünn und langweilig, der Schäumer unangenehm grobperlig und in der Nase stichig.
Blanc de Blancs Chardonnay, Carl Jung (schäumend). Die prägnante Säure zusammen mit Kohlensäure und sehr wenig Süße sehr anstrengend, ziemlich schnell fiel das Stichwort „Sodbrennen“.
Rotkäppchen rosé: Zuerst sehr süß, dann komplette, betretene, unangenehme Funkstille.
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