Post stellt Telegramme ein : Vom Draht genommen
Es ist gewiss kein Zufall, dass die kürzeste Kurzgeschichte der Welt, die das ganze Drama eines Lebens von der Wiege bis zur Bahre in nur sechs Worten bündelt, Hemingway zugeschrieben wird: „For sale: baby shoes, never worn“. Auch wenn die Autorschaft eine Legende bleibt, passt es nur zu gut. Denn so wie die Grenzen überwindende Digitalität eine Poetik der Ausuferung mit sich brachte, kam einst mit dem Telegramm ein eigener Stil in die Welt, wenn auch bloß aus Kostengründen.
„Ankomme Freitag den 13.“, wie Reinhard Mey, sonst um kein Wort verlegen, sang, war einfach günstig bei einem Tarif, der sich nach der Anzahl der Worte richtete. Der Telegrammstil prägte nicht nur den Journalismus, sondern auch die knappe, sachliche Literatur, für die Hemingway stand, der als Reporter seine Storys übers Telegraphenamt schickte. In Telegrammen wurde die Liebe erklärt und manchmal auch der Krieg, ob zwischen Ländern, nachdem Bismarck seine „Emser Depesche“ 1870 derart verknappte, dass Frankreich tobte, oder zwischen Abenteurern.
Fahnen unterwegs, Umbruch demnächst
Als Amundsen 1910 seinen Rivalen Scott per Telegramm wissen ließ, dass er Kurs auf den Südpol nehme, soll dieser derart erstarrt gewesen sein, dass er den polaren Wettlauf verlor, obwohl Amundsen erst ein Jahr später dort eintraf. Telegramme hätten womöglich die Titanic retten können, wenn der Kapitän sie nur rechtzeitig gelesen hätte. Zu Zeiten des Kalten Kriegs waren sie unersetzlich, um den Kontakt zwischen beiden Seiten der Mauer aufrechtzuerhalten. Das Besondere am Telegramm war dabei stets, dass es Dringlichkeit signalisierte. So markierte der Verleger Siegfried Unseld seinen Autoren per Telegramm Bedeutsamkeit: „Fahnen unterwegs“, kabelte er Thomas Bernhard ins Salzburgische: „Umbruch demnächst“.
Belanglos war ein Telegramm nie, weshalb es nicht selten auch schlechte Nachrichten überbrachte, plötzliche Krankheiten, Todesfälle oder abgesagte Hochzeiten, wenn der Bräutigam plötzlich wortkarg erklärte: „Lieber nicht“. Die erste elektrische Nachricht versandte Samuel Morse 1844: „What hath God wrought“ – was Gott erwirkt hat –, eine „Sternstunde“ für Stefan Zweig. Dabei wollte Morse eigentlich mit seiner Malerei in die Geschichte eingehen, stattdessen wurde es ein Bibelvers aus dem 4. Buch Mose. Wenn am 31. Dezember das letzte Telegramm auf die Reise geht und der Dienst eingestellt wird, endet – stopp – nach 178 Jahren – stopp – ein Kapitel Telekommunikationsgeschichte – schade – stopp.