Ingeborg-Bachmann-Preis :
Wieder Wurst

Jan Wiele
Ein Kommentar von Jan Wiele
Lesezeit: 2 Min.
Hielt die Eröffnungsrede bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur: Anna Baar
Nabelschau am Wörthersee: Anna Baar hat den Wettbewerb um den Bachmannpreis mit einer Rede eröffnet, die Phrasen bemühte, um gegen Phrasen zu wettern.
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Ja, geht es denn schon wieder um die Wurst? Kaum wird die Diskussion um die „Bratwurstbude“ des deutschen PEN und ihre neue Dependance in Berlin etwas zäh, beginnt in Klagenfurt das nächste Event des wieder auflebenden Präsenz-Literaturbetriebs: Bachmannpreis, ganz in echt, mit Lesungen jetzt unter freiem Himmel! Nach zwei Jahren Digitalmisere erwartet man hier Feierbiester – und dann steht schon die Eröffnung im Banne eines Schmähworts: „Wurstkomplizen“. Wie das? Die österreich- oder auch speziell kärntenkritische Nabelschau hat beim Bachmannpreis eine gewisse Tradition, man denke an den Siegertext der Kärntner Slowenin Maja Haderlap oder Josef Winklers Wutsuada, in der er 2015 forderte, die Urne Jörg Haiders in eine bewachte Gefängniszelle zu verlegen.

Die 1973 in Zagreb geborene Autorin Anna Baar, die 2015 selbst hier gelesen und zuletzt den Roman „Nil“ bei Wallstein vorgelegt hat, kam in ihrer diesjährigen Eröffnungsrede auch auf Haider zu sprechen, vor allem aber auf den Klagenfurter Kinderarzt Franz Wurst, dessen Heilpädagogikabteilung am Kärntner Landeskrankenhaus jahrzehntelang eine „Seelenmordanstalt“ gewesen sei. Man wisse von fünfhundert Opfern der Kärntner Jugendwohlfahrt, die teils schwer misshandelt worden seien, während Wurst im Amt blieb und von Politikern gedeckt wurde.

„Die Wahrheit ist eine Zumutung“

Als „Wurstkomplizen“ provozierte Baar letztlich auch diejenigen im Publikum, die nicht aufbegehrten gegen eine (Klagenfurter) Wirklichkeit, in der auch heute noch Straßen nach Naziverbrechern benannt seien. Der sehr oft zitierte Satz der Namenspatronin des Bachmannpreises, der diesem auch schon als Motto auf die Fahnen geschrieben wurde – „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ –, tauge heute nur noch als Klospruch, so Baar, und sie „nehme ihn zurück“ angesichts einer Wirklichkeit, in der die Wahrheit durch Sprache ständig verdreht werde. Aber warum ersetzte sie dann diesen Satz im Titel ihrer Rede nur durch eine neue Phrase: „Die Wahrheit ist eine Zumutung“?

So universell Baars moralischer Anspruch, so fragwürdig die daraus abgeleiteten Kriterien für Literatur. Diese solle „Kindern Geschichten geben, an denen sie sich aufrichten können“. Ob das schon genügt? Etwas unmotiviert fuhr Baar dann noch kurz großes rhetorisches Geschütz gegen eine marktgerechte „Weißbrotliteratur“ auf, und etwas vage blieb ihre Kritik am darin vorherrschenden Jugendjargon. Galt die letztjährige Klagenfurter Rede des Kritikers Hubert Winkels manchen als zu elitär, wirkte diese letztlich zu provinziell und auch zu bieder, daran konnte selbst der Griff in die Kiste der Wurstmetaphern nichts ändern.

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