Kolumne „Vor dem Gesetz“ : Wenn Kritik an der Justiz strafbar ist

Ein Journalist wird verurteilt, weil er Durchsuchungsbeschlüsse gegen die Letzte Generation verbreitet hat. Wie soll die Presse aus laufenden Gerichtsverfahren berichten, wenn sie deren Akten nicht publik machen darf?
Das Berliner Kriminalgericht hat einen Journalisten verurteilt, weil er richterliche Durchsuchungsbeschlüsse gegen Mitglieder der Letzten Generation verbreitete. Damit habe er das Verbot verletzt, Gerichtsakten ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut publik zu machen, bevor über deren Inhalt öffentlich verhandelt worden oder das Verfahren abgeschlossen ist. Das Gericht zögerte, eine Kriminalstrafe zu verhängen, und schlug vor, das Verfahren einzustellen. Der Angeklagte lehnte ab. Am Ende erging eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, praktisch ein Schuldspruch mit angehängter Geldstrafe auf Bewährung.
Die Veröffentlichung war rechtswidrig, aber nicht strafwürdig, so die Botschaft. Rechtskräftig ist das Urteil nicht. Der Journalist beabsichtigt, am Ende das Bundesverfassungsgericht anzurufen, weil die Strafnorm die Pressefreiheit nicht berücksichtige.
Schon lange wird, nachvollziehbar aus journalistischer und rechtspolitischer Sicht, mindestens eine Reform gefordert, bislang vergeblich. Zweimal wurden Verfassungsklagen zurückgewiesen, nun gibt eine jüngere Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs der Kritik neuen Aufwind, nach der eine Verurteilung stets die Abwägung mit der Pressefreiheit erfordere. Die Norm soll Schöffen vor Beeinflussung schützen und eine öffentliche Vorverurteilung vermeiden. Allerdings muss öffentliche Kritik der Justiz, wenn auch unter strikter Wahrung von Persönlichkeitsrechten, möglich sein.
Zivilgerichte betonen immer wieder, dass ein hohes Interesse der Öffentlichkeit anzuerkennen sei, Akteninhalte im Wortlaut zu erfahren. Ihnen komme ein gesteigerter Dokumentationswert zu. Keine Zitate aus einer Ermittlungsakte, aber immerhin noch deren Kenntnis verlangte kürzlich ein Landgericht von einer Zeitung. Und urteilte, diese habe sich für einen Bericht über Ermittlungen gegen einen ehemaligen Politiker wegen Vergewaltigung nicht allein auf eine Presseauskunft der Staatsanwaltschaft verlassen dürfen.
Um ihren Artikel zu rechtfertigen, hätte sie eine schriftliche Äußerung der Anzeigeerstatterin oder andere Beweismittel einholen müssen. Die Pressekammer erwartet, dass Journalisten über Aktenteile verfügen, bevor sie schreiben. Da Behörden während laufender Verfahren Journalisten damit aber nicht versorgen, unterbindet das faktisch die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren.